Immer diese Vorurteile

Es gibt auf dieser Welt so viele Vorurteile, wie Wassertropfen im Meer. Viele davon ärgern mich maßlos und sind leider irgendwie nicht aus der Welt zu schaffen. So gibt es immer noch hartnäckige Vorurteile gegen ältere Menschen. Zu einigen davon möchte ich hier gerne einmal meine Sicht der Dinge (und nicht nur meine) schildern.

“Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!”

Jenseits der 50 noch etwas neues lernen? Kein Problem! Dass man im Alter nichts mehr lernen kann, ist ein noch immer weitverbreiteter Irrtum. Wenn ich ganz einfach einmal (ganz unbescheiden) mich als Beispiel nehme: Mit 60 bin ich als Webdesignerin tätig und erstelle Websites und Shops. Mir bleibt – bei der rasanten Entwicklung und immer neuen Möglichkeiten – nichts anderes übrig, als ständig neu zu lernen. Da in Übung, scheint das meinem Gehirn nicht sonderlich schwer zu fallen.

Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass die Gehirnsubstanz im Erwachsenenalter nur noch schrumpft. In einer Studie mit Studenten und Menschen zwischen 50 und 67 Jahren durften diese, unter wissenschaftlicher Begleitung, Jonglieren lernen. Ergebnis nach drei Monaten Training: In zwei Gehirnregionen, zuständig für die Wahrnehmung der Bewegung im Raum und fürs Lernen, fand ein deutliches Wachstum statt – und zwar bei den Jüngeren und den Älteren. Die anatomische Struktur des Gehirns kann sich also selbst im Alter noch signifikant verändern. Gerade für uns ältere Menschen ist es wichtig, neue Herausforderungen zu meistern und Neues zu lernen.”

An dem alten Spruch: “Wer rastet, der rostet” ist also etwas wahres dran. Wer seinem Gehirn etwas Gutes tun will, muss es beschäftigen.

Dank des medizinischen Fortschritts leben die Deutschen immer länger. Sie sind aber auch länger krank und pflegebedürftig.

Natürlich steigt die Lebenserwartung in Deutschland stetig an. Das führt aber nicht dazu, dass die Menschen immer länger in Pflegeheimen dem Tod entgegen dämmern.

Folgendes habe ich hierzu gelesen: Die gesunde Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als die allgemeine Lebenserwartung. Das heißt: Die Menschen leben nicht nur länger, sie sind auch länger gesund und selbstständig. Das Risiko, pflegebedürftig zu werden, hat abgenommen. Das Altern selbst kann zwar nicht aufgehalten werden, aber es kann verlangsamt werden. Chronische Krankheiten, die Behinderungen verursachen, verschieben sich in höhere Altersgruppen.

Wie ich schon des Öfteren anmerkte, war noch keine Generation vor uns so jung und – vor allen Dingen – so fit wie wir heute. Selbst ich bin manchmal unglaublich erstaunt, wie gut so manche Menschen mit 80 oder 90 noch drauf sind.

Mit zunehmendem Alter werden die Menschen immer unglücklicher und unzufriedener.

Das kann ich nicht glauben. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass wir mit zunehmendem Alter gelassener und somit zufriedener werden. Sicher gibt es ältere Menschen, die ständig nörgeln und mit sich und der Welt im Unreinen sind, aber ich glaube, die waren schon immer so.

Jüngere Menschen zwischen 30 und 50 haben es, meiner Meinung nach, am schwersten. Karriere, Familiengründung, der Aufbau eines gewissen Lebensstandards, das alles liegt in diesem Zeitraum. In der heutigen Zeit, mit ihrer Schnelllebigkeit und dem relativ grossem Druck, der auf der jungen Generation lastet, ist das sicher nicht sehr leicht.

Wir “Alten” leben oft zufriedener, je mehr wir erlebt und durchgestanden haben. Liebe “Jungen”: Habt keine Angst vor dem Alter, den die Zeit ab 50, kann eine sehr gute Zeit für euch werden. Das zeigen auch alle großen Studien zum Älterwerden. Die meisten älteren Menschen sind mit ihrem Leben zufrieden oder sehr zufrieden und dieses Gefühl nimmt mit steigendem Alter sogar noch zu. Richtig unzufrieden sind nur sieben Prozent. Das sind zwei Ergebnisse des Deutschen Alterssurvey, in dem seit 1996 regelmäßig mehrere Tausend Bürger befragt werden. Gut zwei Drittel der Befragten fühlen sich unabhängig und glauben, dass sie ihr Leben selbst bestimmen können. Für die Unterschiede sind nicht das Alter, sondern das Bildungsniveau, das Einkommen und die Gesundheit entscheidend. Psychologen erklären die große Zufriedenheit auch mit den aktiven Anpassungsleistungen der Älteren: Pragmatisch konzentrieren sie sich stärker auf ihre Fähigkeiten als auf die Einbußen, sie vergleichen sich nicht mit früheren Lebensphasen, sondern mit Gleichaltrigen. Das hört sich doch gut an oder findet ihr nicht?

Älter werden heißt einsam werden.

Meine Erfahrung ist, dass das Verhältnis von Jung und Alt heute enger ist als in den Generationen zuvor. Zusammensein mit älteren war in unserer Jugend und als junge Erwachsene eher ein Pflichtprogramm. Heute erlebe ich es oft, dass jüngere Leute – gerade auch ausserhalb des Famlilienkreise -, gerne mit uns zusammen sind.

Wie der Familiensoziologe François Höpflinger von der Universität Zürich herausgefunden hat, ist das auch innerhalb der Familie so. Die Großeltern haben viel Zeit für ihre Enkel, sie sehen sich häufiger und haben die Chance auf eine lange gemeinsame Lebenszeit. Die Enkel erleben Oma und Opa überwiegend als aktiv, liebevoll, großzügig und tolerant. Nach dem Beziehungs- und Familienpanel Baden-Württemberg lebt im Südwesten fast die Hälfte der Erwachsenen mit eigenen Kindern maximal zehn Minuten vom nächsten Elternteil, also den Großeltern, entfernt – ein Viertel davon sogar im selben Haus. Es scheint also eine Rückentwicklung in ganz frühere Zeiten zu geben. Die Familien rücken wieder enger zusammen.

Ältere Menschen sind weniger leistungsfähig.

Natürlich lassen im höheren Alter Feinmotorik, Sehleistung und Gehör nach. Das alles wurde ja auch schon lange gebraucht und verschleißt mit den Jahren. Vielleicht ist man dann ab 70 oder 75 körperlich weniger kräftig und weniger reaktionsschnell. Dafür haben wir mehr Erfahrung, soziale Fertigkeiten und Alltagskompetenzen. Wir können neue Informationen leichter in unsere Erfahrungsschatz einordnen, können uns und andere besser einschätzen, sind emotional stabiler und umgänglicher – meine Schwester nennt das bei mir immer “altersmilde” -, unsere geistigen Leistungen sind verlässlicher und souveräner.

“Je breiter, umfassender und komplizierter die Herausforderungen sind, desto kleiner sind die Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren”, sagt Stamov Roßnagel vom Zentrum für lebenslanges Lernen in Bremen. Axel Börsch-Supan, der am Max-Planck-Institut in München zum Thema Produktivität einer alternden Gesellschaft forscht, kommt gar zum Schluss: “Die Produktivität und Zuverlässigkeit der älteren Mitarbeiter ist unter dem Strich höher als die der jungen.” So machten ältere Mitarbeiter deutlich weniger schwere Fehler und, wer sich mit etwas Neuem, zum Beispiel mit einer neuen Technik oder einer Fremdsprache beschäftigt, bekommt auch wieder Lust auf neue Erfahrungen und das Lernen.

Ältere Menschen sind nicht mehr mobil.

Das kommt darauf an, was man unter “ältere Menschen” versteht. Gehört man mit 50, 60, 70 oder 80 in diese Gruppe? Mobilität ist die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes und aktives Leben. Wie ich gelesen habe, waren 1985 nur zehn Prozent der 75- und 79-Jährigen aktive Autofahrer mit einem eigenen Wagen, heute ist es fast jeder Zweite. Selbst die 80- bis 85-Jährigen sind an vier von sieben Tagen in der Woche unterwegs. Rund ein Viertel dieser Altersgruppe fährt mehrmals pro Woche oder häufiger Auto. Mehr als ein Drittel der Neuwagenkäufer im vergangenen Jahr waren älter als 60 Jahre.

Wichtig für uns “Alte” ist, das wir in einer Infrastruktur leben können, die auch ohne Autofahren Mobilität zulässt. Eine Umgebung mit Einkaufsmöglichkeiten und kulturellem Angebot in der Nähe oder mit Bus oder Bahn leicht zu erreichen, fände ich perfekt. Das ganze dann in einer Wohngegend, in der nicht nur Alte leben, sondern auch junge Leute und Familien, zu bezahlbaren Mieten, das wäre meine Idealvorstellung. Mit Mehr-Generationen-Häusern und Alten WGs sind wir da auf einem guten Weg.

8 Kommentare

  • Sabine Ingerl

    Liebe Karin,
    ein großartiger Post. Keine Ahnung woher diese Vorurteile kommen, aber sie begegnen uns fast täglich. Gut, dass Du dagegen hälst. Ich werde richtig böse, wenn mir jemand nur weil ich 60 bin abspricht, dass ich noch was lernen kann. Bei der Leistungsfähigkeit kommt es nur darauf an, wie man sie definiert. Ich bin heute in vielen Dingen leistungsfähiger als mit 40, weil ich’s kann und weil ich weniger abgelenkt bin.
    Liebe Grüße
    Sabine

    • Karin Austmeyer

      Da hast du recht Sabine. Ich kann bei mir auch keinen großen Unterschied zu früher feststellen. Ich denke, auch lernen ist eine Übungssache und wenn wir damit nie aufhören, fällt es uns auch im Alter nicht schwerer.

  • Bri vom Meer

    Darf ich etwas Wasser in den Wein gießen ? Ja, ich kenne auch die Alten, die viel unterwegs sind. Denn blieben sie Zuhause ,würden sie tage-gar wochenlang niemanden sehen. Da sitzen sie dann in den Selbstbedienungskaffees meiner Kleinstadt und warten darauf, dass es Mittag wird, ohne mit jemandem gesprochen zu haben. Aber sie waren mobil…

    • Karin Austmeyer

      Mobil ja, einsam auch. ich, als kölsches Mädchen, komme immer mit jemandem ins Gespräch. Gerne möchte ich älteren Menschen raten, sich morgens zu sagen “das wird ein schöner Tag” und loszugehen um neue Menschen kennenzulernen. Es gibt immer solche und solche. Leider!

  • Ute

    Hallo Karin,
    habe grad von Deinem Blog auf Tanjas Bunter Welt gelesen und war begeistert, jemanden in meinem Alter zu entdecken. Ganz soviele unseres Alters gibt es ja beim Bloggen anscheinend nicht. Obwohl ich es ja schrecklich finde, wenn alles nur übers Alter definiert wird. Ich schreibe nun seit März meinen Blog und liebe es. Wenn es mal passt, würde ich mich freuen, wenn ich mal über Dich bei mir schreiben darf oder Du eventuell sogar einen Gastartikel schreiben magst.
    Ganz liebe Grüße
    Ute

    • Karin Austmeyer

      Willkommen Ute,
      hab schon deinen letzten Bericht über deine bevorstehende Stockholm-Reise gelesen und kommentiert.
      Schön, dass wir uns gefunden haben 😉
      LG Karin

    • Karin Austmeyer

      Danke Klemens… und diesmal (fast) streng wissenschaftlich. Ich kann ja nicht immer von mir auf andere schliessen, aber die Forschungen bestätigen mein Gefühl.
      Gruß nach Köln (die Stadt in dä isch jeboore bin).
      Karin

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