Sonntagsfragen an Gabi Raeggel

 

Gabi ist Sozialpädagogin, Achtsamkeits- und Minimalismus-Coach. Sie bloggt auf der Webseite www.achtsame-lebenskunst.de über Achtsamkeit und Minimalismus als Lebenskunst. Sich auf das wirklich Wesentliche konzentrieren zu können bedeutet für sie, dem Leben, der eigenen Lebensfreude mehr Raum geben zu können. Weniger Ballast und Belastung haben in ihrem Leben zu viel mehr Lebensqualität geführt.

Das klingt nach einer spannenden Persönlichkeit. Deshalb war es mir wichtig, mehr über Gabi zu erfahren. Liebe Gabi:

Wenn du ans Älterwerden denkst, was ist für dich das Schönste, was das Schlimmste daran und was macht dir am meisten Angst?

Das Schönste am Älterwerden: Das es mich noch gibt, ich mich sehr lebendig und innerlich zunehmend freier fühle. Moden, Trends, Meinungen und all das, was so üblicherweise als “normal” gilt, ist mir im Laufe der Jahre zunehmend egal geworden.

Das Schlimmste am Älterwerden: Da könnte ich jetzt anführen, dass dies die bestehenden körperlichen Einschränkungen sind, die ich zunehmend deutlicher spüre. Aber wenn ich ehrlich bin, hatte ich die früher auch schon – ich hatte sie lediglich besser verdrängt.

Was macht mir am meisten Angst?

Hm, soll ich da jetzt die allgemeine politische Großwetterlage anführen oder die zunehmende soziale Schieflage in unserem Land? Oder die übliche Antwort der Angst vor späterer Demenz im Alter? Letztes macht mir keine Angst, weil ich es eh nicht ändern könnte und – wenn dement genug – ja irgendwann auch nicht mehr merke. Es würde mir nicht gefallen, aber das ist ja was anderes.

Zur politischen Großwetterlage und der sozialen Schieflage fällt mir ein, dass es inzwischen auch so viele wunderbare Gegenbeispiele gibt. Gerade Teile der jüngeren Generation, die viel angst- und sorgloser auf all den ganzen überflüssigen Konsum verzichten können, dabei oft ausgesprochen entspannt und fröhlich, aber keineswegs naiv sind und denen Gemeinsamkeit und Erlebnisse wichtiger sind, als das ängstliche Hängen an all dem Krempel. Und die vielen aktiven Menschen, die entweder um ihre Rechte als Behinderte kämpfen, sich für den Lohn eines guten Karmas Gedanken um das Wohnen der Zukunft machen und praktisch umsetzen, Stadtgärten entwickeln, Foodsharing gründen, Giveboxen aufstellen, Repaircafés gründen und sich Tage und Nächte um die Ohren hauen, um auf ihre Webseiten anderen Menschen kostenlose Entrümpelungs- und Reparaturtipps zu geben oder ganz Stammtische gründen und so andere Menschen zusammenführen – all das passiert überwiegend kostenlos und das ist so wunderbar und klasse.

Welche Vorteile siehst du in deinem Alter gegenüber der jungen Generation?

Einen Vorteil sehe ich in der zunehmenden und leichter werdenden Unabhängigkeit, irgendwelchen Moden und Trends gegenüber. Außerdem kenne ich noch handy- und fernsehlose Zeiten und bin in einer weniger reizüberfluteten Gesellschaft groß geworden.

Was war deine schönste und was deine schlimmste Erfahrung in deinem bisherigen Leben?

Es gibt und gab viele schöne Erfahrungen, es gab auch negative Erfahrungen, die ich in der Situation als schlimm empfunden habe, beispielsweise der phasenweise hohe berufliche Stresslevel. Aber “schönste” und “schlimmste” passt nicht so richtig zu mir. Es sind vorrangig Erfahrungen.

Welche Lebensphase hast du als deine glücklichste empfunden?

Auch da gab es immer wieder viele glückliche und schöne Momente, z.B. als Teenager von Jugendherberge zu Jugendherberge gewandert zu sein, fern ab von jeder Zivilisation. Oder es macht mich glücklich, dass ich jetzt wieder im Stadtzentrum und trotzdem ruhig wohnen kann. Insgesamt genieße ich mein Leben jetzt mit über 50 Jahren sehr viel mehr, als noch vor 20 oder 30 Jahren. Und das macht mich sehr glücklich.

Was war das schönste Geschenk, das du je bekommen hast?

Gegenstände haben mir nie so viel bedeutet, aber Achtsamkeit kennenzulernen, war das beste Lebensgeschenk.

Sind deine Lebensträume wahr geworden?

Große Lebensträume hatte ich früher genau genommen nicht. Wenn mir etwas wichtig war, habe ich mich vorrangig ganz praktisch damit beschäftigt, dies auch umzusetzen. Das war z.B., nach 12-jähriger Tätigkeit als Erzieherin nochmal Sozialpädagogik zu studieren, eine Weiterbildung in Kunsttherapie zu machen, meine Liebe zur Musik mit Chor, gelegentlichen Soloauftritten und Gesangsunterricht. Immer wieder waren das aber auch ganz einfache, aber wichtige Wünsche und Träume, wie regelmäßig ruhige Zeiten und Phasen nur für mich alleine zu finden oder dem morgendlichen Sonnenaufgang genießen zu können.

Wohin möchtest du noch reisen, was noch erleben, was noch lernen?

Ich lebe inzwischen sehr viel mehr im Augenblick als früher, daher ist die Frage, was ich noch erleben, was noch lernen und wo ich hinreisen möchte, genau genommen nicht wichtig. Mich interessiert jeder Sonnenstrahl am Morgen, ich genieße die stillen Momente des Tages, ich liebe es, mich mit anderen Menschen über Generationsgrenzen hinweg über Achtsamkeit, Minimalismus und neue gesellschaftliche, wie persönliche Lebensentwürfe auszutauschen. Irgendwo las ich mal den Satz, dass es genau genommen nur zwei unwichtige Tage gibt: der eine ist gestern, der andere morgen. Gerade beim Älterwerden erfasse ich, welche Bedeutung ein solcher Satz hat, da werden nämlich die Anzahl der “Heute-Tage” irgendwann spürbar weniger.

Wie stellst du dir dein Leben mit 70, 80 oder älter vor?

Ich möchte weder auf dem Sofa, noch vor dem Fernseher vor mich hinvegetieren. Und sollte ich hochbetagt nicht mehr in der Lage sein, alleine das Bett zu verlassen, würde ich notfalls ein Altenheim vorziehen, als in der eigenen Wohnung nicht mehr vor die Tür gehen zu können. Alte Menschen, die jahrelang nicht mehr die eigene Wohnung verlassen haben, von Pflegediensten zwar versorgt, aber keinerlei wirkliche soziale Anbindung haben, kenne ich zur Genüge. Das möchte ich nicht. Außerdem gedenke ich mit auch über 70 oder 80 die Vorteile einer digitalen Vernetzung zu nutzen und auch den analogen Kontakt zur Welt zu behalten.

Hast du Angst vor dem Tod?

Bin ich erstmal tot, merke ich davon nichts mehr. Der Prozeß des Sterbens wird mich sicherlich irgendwann auch ängstigen und ich hoffe, dass dann sowohl andere Menschen (und auch ich selbst) freundlich und zugewandt zu mir sind. Wirklich Angst machen würde mir, wenn ich irgendwann am Ende des Lebens zwar auf eine Galerie von Leistungserfolgen, dicke Bankkonten, große Autos oder akurat aufgereihte Geranien zurückblicken könnte, aber dann erst ganz am Schluss bemerken würde, dass Leben und Lebendigkeit etwas anderes ist. So etwas würde mir wirklich Angst machen, weil ich das am Ende des Lebens dann nicht mehr wirklich umkehren könnte.

Vielen Dank für das tolle Interview. Ein Satz hat mich regelrecht angesprungen, weil er in meine Lebenssituation so gut paßt:

“Genau genommen gibt es nur zwei unwichtige Tage: der eine ist gestern, der andere morgen.”

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