Zwischen 40 und 60: Interview mit Helmut Achatz

 

„60 Jahre und kein bisschen weise“ – na ganz so schlimm ist es bei Helmut mit seinen 63 nicht. So ein bisschen hat er ganz einfach von und durch seine vier Kinder gelernt. Das „Großvater“ steht noch aus, wird aber sicher kommen. Einmal Journalist, immer Journalist – wer 37 Jahre für verschiedene Blätter geschrieben hat, kann’s auch im Alter nicht lassen. Den Übergang vom Beruf in die Rente hat er als sein Projekt angesehen und aufgegriffen. Das Ergebnis ist sein Blog „vorunruhestand“, der sich mit dieser Phase auseinandersetzt. Journalisten sind normalerweise diejenigen, die Anderen Fragen stellen, deswegen hat es sich für ihn sicher komisch angefühlt, befragt zu werden.

Lieber Helmut,

Wie war Dein Lebensgefühl mit 40 und wie unterscheidet es sich zu heute?

Mit 40 war die Welt noch in Ordnung. Fast im Zwei-Jahresrhythmus waren meine Kinder auf die Welt gekommen – alle gesund und aufgeweckt. Es war eine Freude ihnen beim Aufwachsen zuzusehen, sie zu unterstützen, ihnen das Schwimmen und Radfahren beizubringen, sie auf Skier zu schnallen, ihnen etwas vorzulesen und sie mit auf Reisen zu nehmen. Als Vater sah ich es als meine Aufgabe, ihnen die Welt zu öffnen.

Im Beruf lief’s richtig rund – ich stieg zum leitenden Redakteur auf, war unterwegs, gefragt und vorne dran. Die Welt schien offen – ich musste nur zugreifen. Dann kam die Betriebsschließung und ich lernte als Betriebsratsvorsitzender, was es heißt, einen Sozialplan zu erkämpfen, lernte, was es heißt, abhängig beschäftigt zu sein. Das war indes gleichzeitig ein Schubs, die Selbstständigkeit auszuprobieren, zusammen mit einem Kollegen. Wir waren ein Super-Team und erfolgreich. Ich fühlte mich herausgefordert und habe die Herausforderung angenommen.

Mit 40 schaut er schon sehr intellektuell aus, oder?

 

Welche Wünsche und Träume hattest Du in diesem Alter und was davon ist in Erfüllung gegangen?

Klingt vielleicht komisch, aber ich hatte diesen Spruch im Hinterkopf:

„Ein Mann muss drei Dinge im Leben tun – ein Haus bauen, einen Sohn zeugen und einen Baum pflanzen“.

 

Alles ist in Erfüllung gegangen, wobei es mir nicht auf den Sohn ankam, mir war eine Tochter ebenso lieb. Nun habe ich zwei Söhne und zwei Töchter. Mit 40 habe ich irgendwie verinnerlicht, dass ich der Welt etwas hinterlassen will, was überdauert und nicht mit mir aufhört. Das war eher ein diffuses Gefühl als eine entschiedene Absicht. Ich war neugierig – und es war damals die Zeit des Aufbruchs. Das Internet kam auf und ich wollte von Anfang an dabei sein – war ich auch. Als Chefredakteur des „Btx Magazin“ (ja, das gab’s damals, vielleicht erinnert sich der eine oder andere) war ich dabei, als die erste Million CDs in Salzburg gepresst wurden für T-Online mit der Zugangssoftware und Netscape 1.0, dem ersten kostenlosen Web-Browser. Anfangs noch belächelt, setzte sich das Internet rasant durch. Seitdem sind gerade einmal 20 Jahre vergangen. Ich war dabei und mitten drin – ein tolles Gefühl.

 

Wenn Du heute auf die letzten 20 Jahre zurück schaust, wie ist Dein Resumé?

Es war eine spannende Zeit, ein Umbruch, der die Welt verändert hat und immer noch verändert. Ich hatte das Glück, ganz vorne mit dabei zu sein. Bei aller Euphorie – auch für mich wuchsen die Bäume nicht zum Himmel, aber mehr davon bei der nächsten Frage …

 

Gab es Schicksalsschläge oder tiefgreifende Veränderungen in dieser Zeit und wie haben sie Dein Leben beeinflußt?

2001 brach für mich die Welt zusammen, als meine Frau an Brustkrebs starb. Brustkrebs ist ein heimtückischer Geselle. Die Krankheit zog sich über Jahre hin. Schon bald nach der Geburt meiner jüngsten Tochter bemerkten die Ärzte Knoten in der Brust – leider zu spät. Der Krebs hatte schon gestreut und breitete sich in ihrem Körper aus. Sie kämpfte wie eine Löwin, hat den Kampf aber verloren … und beim Schreiben dieser Zeilen rollen mir die Tränen über die Wange. Die Band „Pur“ hat in ihrem Lied „In Gedanken“ aus dem Album „Abenteuerland“ dieses Gefühl des Zurückgebliebenen treffend beschrieben.

 

„Sie stand mitten im Leben, hat das Glück angelacht, für den Mann und die Kinder die treibende Kraft“,

 

ja, das war sie. Und weiter heißt es:

 

„All die Operationen, all die Therapien, begannen dem Körper die Kraft zu entzieh’n – Doch sie wollte kein Mitleid, mit Löwinnenmut, oh, lachte sie weiter, als ging es ihr gut. Ich sah sie und weinte, sie tröstete mich; ja, das war echte Größe, mir war jämmerlich“.

 

„Jämmerlich“ trifft’s. Aber es war mehr – es war auch Wut auf sie, auf mich, auf das Schicksal. „Warum sie, warum ich, warum wir?“, habe ich mich gefragt. „Wie komme ich dazu, vier Kinder allein großzuziehen?“. Eine Mischung aus Wut, Trauer und Angst trieb mich um. Meine Jüngste war gerade vier, mein Ältester 14 – und die Mittleren in der Pubertät. Für lange Trauer hätte niemand Verständnis gehabt. Ich weinte im Stillen und schlug mich, so gut es ging. Die Probleme ließen auch nicht lang auf sich warten. Von allen Seiten prasselte es auf mich ein. Delegieren war nicht – ich übernahm jetzt viele Rollen meiner verstorbenen Frau. Es blieb mir ja gar nichts anderes übrig. Ich musste mich mit Schule, Jugendamt, Arbeitgeber und meiner Ex-Schwiegermutter auseinandersetzen. Zum Glück hat mir das Schicksal ein gerütteltes Maß Resilienz mitgegeben. Das Wort trifft’s am besten: Resilienz heißt psychische Widerstandsfähigkeit, Krisen zu bewältigen. Umgangssprachlich würde ich Teflonhaut sagen – und dazu die noch ein erstaunliches Maß an Heiterkeit. Das war sicher das Rezept, dass ich diese Zeit – seit ihrem Tod sind 16 Jahre vergangen – psychisch unbeschadet überstand. Mein soziales Netz hat mir viel geholfen. Vor allem gute Freunde waren da, wenn ich sie gebraucht habe. Natürlich habe mich zwischenzeitlich Panikattacken überfallen, aber ich habe gelernt, damit umzugehen: In den beiden Vater-Kind-Kuren habe ich mich auf progressive Muskelentspannung eingelassen, um so aufkommende Panik abzuschütteln. Geholfen haben sicher auch Rituale, die ich beibehalten und gepflegt habe. Für mich war wichtig, dem Leben Kontinuität zu geben, Beständigkeit. Der Einschnitt war tief genug. Ich habe auch meinen Kindern bewusst und unbewusst vermittelt, für sie da zu sein. Klingt vielleicht auch wieder komisch: Alle bekamen schon früh ein Handy, damit ich sie und – vor allem – sie mich jederzeit erreichen können. Ich musste auch lernen, mich durchzusetzen – was vorher vor allem meine Frau übernommen hatte. Ich war ja bis dahin der Feierabend-Papa, der auch mal Fünfe gerade sein lassen konnte. Das ist mir ziemlich schwergefallen. Glück war, dass ich keine finanziellen Probleme hatte, wie es vielen alleinerziehenden Müttern geht. Aber in allem Anderen kann ich deren Probleme nachvollziehen, denn mir ging es als alleinerziehendem Vater genauso wie ihnen. Übrigens, geholfen hat mir auch das Buch von Tiki Küstenmacher und Lothar Seiwert: „Simplify your Life“ – das ist fast so eine Art Motto geworden. Das Leben ist nämlich hart genug.

 

Bist Du heute zufriedener oder trauerst Du der alten Zeit hinterher?

Zufriedener? Ich war vielleicht nur selten richtig unzufrieden. Es war ok so, wie es war. Auf die Prüfung des Schicksals hätte ich gern verzichten können. Blieb mir aber nicht erspart. 40 ist 40, 60 ist 60. Beides hat Vor- und Nachteile. Ich war damals unbekümmerter, da ist mir etwas verloren gegangen. Dafür lebt sich’s heute leichter. Die Kinder sind aus dem Haus und gehen ihren Weg. Ich bin zufrieden und schaue eher dankbar zurück, dass ich auch die schwierige Zeit unbeschadet überstanden haben, ohne meinen Humor, meine Heiterkeit und meine Zuversicht zu verlieren.

 

Welche Wünsche und Träume hast Du für die nächsten 20 Jahre?

Einmal Journalist, immer Journalist – Journalist zu sein, ist eher eine Berufung als ein Beruf. Die Lust am Schreiben hat mich mein Leben lang begleitet und angetrieben. Ich wollte schon vergleichsweise früh mein Geld mit Schreiben verdienen. Das habe ich geschafft. Freilich ist es so, dass Journalisten eben auch vieles schreiben müssen, was ihnen nicht ganz so behagt. Immer eine Meinung haben zu müssen und die dann auch noch in packende Worte zu kleiden, ist manchmal mühsam. Jede Woche hundert Seiten – natürlich nicht allein – zu füllen, ist anstrengend. Heute als Rentner muss ich nicht mehr, ich kann und darf. Ich suche mir die Themen aus und ich bestimme den Rhythmus – das ist Genuss. Ich lebe meinen Traum und träume nicht mein Leben. Ich kann’s mir leisten – und das hoffentlich noch lang. Das ist mein Wunsch für die kommenden 20 Jahre. Ich hoffe, dass ich mir auch immer dessen bewusst bleibe.

 

Tausend mal Danke für Deine Offenheit, mit der du uns diese wichtige Lebensphase beschrieben hast. Mir sind beim Lesen auch einige Tränchen die Wangen runter gelaufen. Danke auch, dass Du als Mann den Mut hattest, mir für diesen doch sehr weiblich geprägten Blog Rede und Antwort zu stehen.

3 Kommentare

  • Helmut Achatz

    Ja, es hat mit Überwindung gekostet, auf die sehr persönlichen Fragen zu antworten. Danke für eure Komplimente. Es war ‘ne teilweise schwere Zeit. Ich hatte mir das so nicht ausgesucht. Das Schicksal ist aber nicht immer fair. Wichtig ist, seinen Humor nicht zu verlieren – und seine Heiterkeit.

  • Monika Murphy-Witt

    Hochachtung! Wie Du, lieber Helmut, mit diesem schweren Schicksalsschlag umgegangen bist, ist sicher nicht für alle Betroffenen selbstverständlich. Freue mich sehr für Dich, dass das Leben es in anderer Hinsicht doch auch gut mit Dir gemeint hat. Alles Gute weiterhin.

    Und @ Karin: Danke für dieses sehr berührende Interview!

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