Der Seniorenteller ist out –

Ein Gastbeitrag von Barbara Steldinger


Nieder mit dem Seniorenteller!

Ganz früher, also so etwa mit Anfang Zwanzig, habe ich mir kaum darüber Gedanken gemacht, ob und wie alt ich wohl mal werden würde. Ich hatte das Gefühl, noch endlos Zeit zu haben. Das Alter war noch sehr weit weg und in meinen Augen auch nicht besonders erstrebenswert. Mein Bild alter Menschen war natürlich durch mein Umfeld geprägt.

Dieses Umfeld suggerierte mir, dass alt werden gleichbedeutend mit krank und unzufrieden mit sich und der Welt sei. Hatte ich doch damals nur unzufriedene, verbitterte, vom Leben gebeutelte, alte Menschen kennengelernt, die sich vor allem mit den Unzulänglichkeiten des Lebens und vor allem mit ihren Gebrechen beschäftigten. Das war nun wirklich nicht erstrebenswert für mich. Mir fehlte damals auch noch das liebevolle Verständnis für die alte Generation, die viel Schlimmes erlebt hatte.

 

Veränderung

Zum Glück habe ich im Laufe der Jahre viel über mich und die Anderen lernen dürfen und in diesem Zuge hat sich zwangsläufig auch mein Umfeld gravierend verändert. Waren früher die Menschen um mich herum mehrheitlich der Meinung, dass man im Alter sowieso zwangsläufig krank wird, bestimmt einen Rollator brauchen wird und froh darüber sein kann, dann hoffentlich wenigstens halbwegs versorgt zu sein, haben sich die Bilder für mich nun gravierend verschoben. Das macht mir Mut.

Immer mehr alte Menschen, und mit alt meine ich weit über 70, 80 Jahre und älter, zeigen sich in meinem Leben nun ganz anders. Da gibt es den Neunzigjährigen, der im Winter Eis baden geht und auch sonst jeden Morgen in den See springt, egal wie das Wetter ist. Der jeden Tag mit Kopfhörer auf den Ohren tapfer seine Runde walken geht um nicht einzurosten. Da gibt es den über Siebzigjährigen, der völlig verwilderte Grundstücke mit Manpower, und zwar seiner eigenen, wieder urbar macht, Häuser von Hand abreißt und manch einem Jüngeren etwas vormacht mit seiner Kraft und seinem Elan. Der lebt als würde er niemals sterben und keinen Gedanken daran verschwendet, dass er für irgendetwas zu alt sein könnte.

Da gibt es die hoch in den Achtzigern, deren Garten immer noch von ihr selbst handgepflegt pikobello ist und die über Achtzigjährige, die sich im hohen Alter für Energiearbeit interessiert und fasziniert verfolgt, was ich auf diesem Gebiet so Neues dazu lerne und probiere. Das alles finde ich sehr ermutigend.

 

Senioren mit 50+

Dagegen kenne ich natürlich immer noch auch die Vertreter der typischen kollektiven Glaubenssätze über das Altern. Da wird beim Kaffee trinken gemeinsam darüber sinniert, dass es ja jetzt nur noch bergab gehe, die Alten sowieso keiner mehr wolle und überhaupt früher alles besser gewesen sei.

Das kann man bei manchem Schwatz zwischen älteren Nachbarn am Gartenzaun oder im Cafe hören und manchmal schon von Menschen um die Fünfzig. Da, nämlich zeigen sich die ersten Zipperlein und schon passen für viele scheinbar die erlernten, ererbten oder auch angelesenen Glaubenssätze.

Ja, auch angelesen, das gibt es. Schau doch mal in Zeitschriften für „Senioren“ oder „Best Ager“ usw.. “Senioren” sind übrigens nach neuestem Verständnis Menschen mit 50plus. Was für ein Hohn.

Wie tief völlig überholte Überzeugungen sitzen, habe ich unlängst selbst erfahren dürfen. Seit ich sechzig geworden bin, bekomme ich plötzlich unangeforderte Einladungen zum kostenlosen Hörcheck, Probeangebote für Inkontinenzeinlagen und Angebote für Treppenlifte. Das hat mich kurzzeitig sprachlos gemacht, aber auch amüsiert und sensibilisiert für das Thema. Es hat sich wohl immer noch nicht allgemein herumgesprochen, dass die meisten 50, 60, 70 jährigen heutzutage ganz anders drauf sind als noch in der Generation davor.

Menschen der Altersgruppe 50+ bekommen tatsächlich extra Kurse zum Internet lernen, im Fitnesscenter und bald wohl auch den Seniorenteller, wegen der sensiblen Verdauung im Alter…

 

Ich will aber keinen Seniorenteller!

Viele Fünfzigjährige plus die, die ich kenne und vor allem die Frauen, zu denen ich mich auch zähle, sind fit wie nie, attraktiv, gut gebildet und sehr unternehmungslustig. Viele von ihnen beginnen gerade mit 50+ noch mal etwas Neues. Sie gründen Unternehmen oder trennen sich mutig aus überlebten Beziehungen um sich und ihr Leben noch einmal neu zu erfinden.

Endlich sind die Kinder erwachsen, sie haben für sich Zeit und entdecken sich selbst wieder neu. Auch sie treffen natürlich solche Schicksalsschläge wie Tod, Verluste und Krankheit aber das hindert sie nicht daran, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen und selbst die Regie darin zu führen.

Da kann von “Senioren” wirklich keine Rede sein. Diese wachen Frauen haben keine Glaubenssätze, die sie daran hindern, das Leben nicht nur zu meistern, sondern zu lieben und zu genießen. Offensichtlich glauben sie einfach nicht, was andere in ihrem Alter für die Wahrheit halten. Sie sind das beste Beispiel dafür, wie die Macht der Gedanken wirkt. Im Innen wie im Außen.

Sie übernehmen Verantwortung für sich und ihr Leben und haben oft viel Spaß und Erfolg damit. Und auch mit den Schicksalsschlägen des Lebens wie Krankheit, Verlusten oder Tod wird anders als früher umgegangen. Viele haben erkannt, dass sie keine Opfer sind, sondern viel von der eigenen Lebenseinstellung abhängt. Und auch das lebenslange Lernen ist selbstverständlich geworden.

Das ist vielleicht unbequemer als einfach zu resignieren und Gott und die Welt verantwortlich für das eigene langweilige Leben zu machen, aber es erhält sichtbar jung! Ein Vorteil des “Alters” kann sein, dass man nicht mehr auf jeden Trend reinfällt und eine gewisse Abgeklärtheit sich einstellt. Man muß nicht mehr jeden Hype mitmachen, sondern sich auf das Wesentliche konzentrieren, auf sich selbst.

Und damit ist der Seniorenteller endgültig vom Tisch!


Vielen Dank für diesen wundervollen Beitrag liebe Barbara, den ich nur unterschrieben kann.

 

6 Kommentare

  • Emilia Meier

    Hallo Frau Austmeyer,
    Ich zähle mich auch zu beschrieben 50+ Frauen. Gerade daher sehe ich solche Dinge wie den Seniorenteller mit ziemlicher Gelassenheit und keinen Grund mich darüber zu ärgern. Es ist ja nicht so, dass er mir im Restaurant aufgedrängelt wird. Ich sehe ihn mehr als Angebot für ältere Menschen (und damit meine ich NICHT die Generation 50+). Genau wie der Kinderteller für die Kleinsten. Beide sind ein Angebot des Wirtes um diesen Personenkreis entgegen zu kommen. Gewöhnlich verdient der Wirt auch nichts mehr an diesen Tellern und möchte natürlich nicht, dass alle Gäste diese billigeren Teller nehmen. Daher vermutlich diese typischen Namen. Seniorenteller sind meist auch leicht bekömmliche Schonkost (gedünsteter Fisch, Huhn, Kartoffelpüree o.ä.), nicht nur einfach kleinere Portionen. In meiner Verwandtschaft gibt es viele Personen um die 80, die als erstes schauen, ob es im Restaurant auch einen Seniorenteller gibt. Ich finde das immer schade, da sie nicht mehr nach Genuss entscheiden und sich freiwillig einschränken. Aber ich kann natürlich meine Lebenshaltung nicht einfach auf andere übertragen. Meine Bekannten über 80 leben mittlerweile alle in ihrer eigenen Welt, die sich in der Tat wirklich nur noch mit ihren Gebrechen beschäftigen. Ich denke dass gehört aber auch zum Ende des Lebens, dass die Kreise, die man zieht immer kleiner werden.
    Grüße Emilia

    • Karin Austmeyer

      Liebe Emilia,

      Gott sei Dank kenne ich solche und solche in der Altersgruppe um 80. Ich glaube, das Verhalten liegt auch vielfach am Umfeld. Ich kenne auch jüngere, die sich nur noch mit ihren Wehwehchen beschäftigen. Schade eigentlich!
      Zum Seniorenteller: Ist das Schonkost oder wird nur schlecht sitzenden Prothesen Rechnung getragen? War ein Scherz, an dem vielleicht an wenig Wahrheit ist. Ich jedenfalls fände es gut, wenn es von dem normalen Essen auf der Karte einfach nur kleinere Portionen gäbe.
      Liebe Grüße
      Karin

  • Hans Elmar

    Hallo liebe Katrin, als Mann bin ich bei dem Seniorenteller ganz anderer Meinung. Senioren sollten auch auf ihre schlanke Linie achten und das Essen vorsichtig und mäßig genießen. Die kleine Portion oder auch der Seniorenteller sind da eine hervorragende Idee mit den Kalorien vorsichtig umzugehen. Als Senior, ich werde in diesem Jahr siebzig verbraucht man im Regelfall nicht mehr so viele Kalorien wie ein Werktätiger. Daher ist Genügsamkeit angesagt und ich halte den Seniorenteller für eine großartige Sache. Leider wurde in meiner Wahlheimat Malta der Seniorenteller noch nicht erfunden. Ich begnüge mich bis auf weiteres mit dem Kinderteller.

    • Karin Austmeyer

      Lieber Hans, ich amüsiere mich gerade köstlich. Aber Spaß bei Seite. Ich wünsche mir, dass es kleine und normale Portionen zur Wahl gibt und diese blödsinnigen Bezeichnungen einfach mal weggelassen werden.
      Ich freue mich, auch einmal von einem Mann zu hören. Ist selten genug.
      Herzliche Grüße
      Karin

  • Bri vom Meer

    Schön geschrieben, liebe Karin. Ich will auch keinen Seniorenteller. Meine Wahrnehmung ist, dass sich ein Teil der Ü 50 er selbst abhängt. Sie können ihr Handy oder den Computer nicht selbst bedienen ( das muss mir mein Enkel / Sohn/Tochter einstellen, wenn sie kommt…) , weil sie nicht lernbereit sind. Was machen die erst, wenn sie noch mal 10 oder 20 Jahre älter sind ?

    • Karin Austmeyer

      Liebe Bri, ich glaube aber, dass das die Menschen sind, die mit 20 auch nicht schlauer waren. Es gibt immer solche und solche.
      Gerade habe ich gelesen, dass 70 % der über 70jährigen sich im Internet tummeln. Das ist ja auch schon mal was.
      Liebe Grüße
      Karin

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