Schenk ein bißchen Liebe

Die Welt da draussen ist nicht nur brutal, grausam, gierig und egoistisch. Nein, die Welt ist auch schön und die meisten Menschen sind liebenswert. Die Medien zeigen uns fast immer nur die schlimmen Dinge, die in der Welt passieren, denn alles andere ist nicht berichtenswert.

Mit dem Älterwerden hat sich auch mein Blick auf mein Umfeld verändert. Er ist milder,  ja zärtlicher geworden. Früher ein Temperamentsbündel, das sich bei jeder Gelegenheit über so vieles aufregte wie das berühmte “HB-Männchen”, schaue ich heute viel liebevoller (meine Schwester nennt das Altersmilde) auf meine Mitmenschen. Ein Gefühl von: “ich liebe alle Menschen”, hatte ich früher schon einige Male, wenn auch nur kurz. Ein gutes Beispiel ist der Jahreswechsel 1999 zu 2000. Mein Mann und ich erwarteten das neue Jahrtausend bei Freunden in Paris. Obwohl diese sich an diesem Abend heftig stritten, stapften wir alle gemeinsam hinauf auf Montmatre. Dort erlebten wir ein fuliminantes Feuerwerk über der Stadt. Es war wunderbar. Auf dem Rückweg nach unten umarmten uns wildfremde Menschen aus allen Ecken dieser Welt. Es war so viel Liebe und Freude in der Luft und das machte mich sehr glücklich. Leider konnte ich dieses Gefühl nicht in den Alltag hinüber retten – schade eigentlich.

Wenn ich so darüber nachdenke, wollte ich eigentlich immer nur geliebt werden. Das es mit der Liebe so eine Sache ist, musste ich bitter erfahren. Mit bedingsloser Liebe im Elternhaus war nicht viel. Ich bin heute sicher, dass zumindest mein Vater mich sehr geliebt hat, aber diese Kriegsgeneration war im Gefühle zeigen eher verkümmert. Auch die Liebe der Männer ist so besonderes Ding. Heute, wo Sex und Partnerschaft keine so grosse Rolle mehr für mich spielen, ist Liebe eher mein ganz eigenes Ding -, ein Gefühl, dass mich manchmal unerwartet überfällt. Zur Liebe gehören für mich Mitgefühl, Solidarität, Gastfreundschaft und vieles mehr. Da ist die alte Dame, die mir desöfteren beim Einkaufen begegnet. Sie ist groß, extrem mager und sehr faltig. Das gelebte Leben, dass sich in ihrem Gesicht zeigt, war sicher nicht immer gut zu ihr. Sie kauft sich immer eine Tasse Kaffee und ein belegtes Brötchen oder ein Stückchen Kuchen und setzt sich damit nach draussen. Dort redet sie mit diesem und jenem und ab und zu auch mit mir. Sie hat fast immer das Gleiche an, ist aber immer sauber und ordentlich. Wenn ich sie mir so anschaue, beschleicht mich das Gefühl, dass diese kleine Mahlzeit das Einzige ist, was sie sich leistet. Ab und zu lade ich sie zu einem Kaffee ein. Sie ist stolz und verschlossen, redet nur über allgemeine Dinge. Bisher konnte ich nur erfahren, dass sie Witwe ist und keine Kinder hat. Ich empfinde Liebe und Mitgefühl für sie und freue mich, wenn ein Lächeln über ihr Gesicht huscht.

Eine Art von Liebe ist auch anderen Menschen ein Lächeln, ein Kompliment oder ein paar nette Worte zu schenken. Es kommt fast immer zurück und die Reaktionen zeigen, dass sich das Gegenüber wirklich darüber freut. Das funktioniert bei Jung und Alt gleichermassen. Auch bei einem Medium wie Facebook entsteht auf gewisse Weise Liebe, Zuneigung, Mitgefühl. Das, meine Lieben, habe ich gespürt, als mein Mann starb und auch als ich krank wurde.

Laßt uns nicht nur das Schlechte auf dieser Welt sehen und laßt nicht zu, dass die Angst uns daran hindert offen auf unsere Mitmenschen zuzugehen. Schenken wir ihnen ein Lächeln und ein paar nette Worte.

In diesem Sinne wünsche ich Euch ein liebevolles Weihnachtsfest.

3 Kommentare

  • Brigitte Marquart

    Liebe Karin,

    Ich kann Dich sehr gut verstehen und habe oft ähnliche Gedanken. Für mich als Mutter überwiegt im aktuellen Lebensabschnitt natürlich die Liebe zu meinen Kindern.

    Doch in meinem Umfeld beobachte ich, wie viele Menschen verlernen zu lieben, obwohl sie sich eigentlich nach Liebe sehnen. Zumindest ist das meine Auffassung.

    Oftmals mündet dies in einer Ersatzliebe mit des Menschen liebsten Begleiter, nämlich einem Hund. Daran ist per se nichts falsch, ich bin selber grosse Tierliebhaberin, aber es macht mich trotzdem nachdenklich, wie viele Menschen im Alter vereinsamen.

    Daher versuche ich bewusst, meine zwischenmenschlichen Beziehungen zu pflegen und Liebe zu schenken, ohne etwas zurück zu erwarten. Vielen Dank für Deinen Reminder und die schönen Worte!

    Liebe Grüsse,
    Brigitte

  • Christine Radomsky

    Vielen Dank für Deinen nachdenklichen Artikel zum Thema Liebe und Menschlichkeit, Karin. Ich habe beim Lesen mehrmals genickt. Auch mein Vater hatte durch den Krieg verlernt, Liebe zu zeigen. Glücklicherweise hatte ich eine sehr emotionale Mutter. Und ja – wir können schon durch kleine Gesten wie Deinen Kaffee für die alte Dame etwas dafür tun, dass der Tag eines anderen Menschen etwas heller und fröhlicher wird. Ich verschenke gern ein Lächeln. Nebeneffekt: Das hellt auch meine eigene Stimmung auf :-).
    Herzliche Grüße
    Christine

  • Elvira Löber

    Liebe Karin,
    ein wundervoller Artikel, bei dem mir gleich warm ums Herz wird. Auch ich durfte erfahren, dass es immer in meinem Leben einen liebevollen Menschen gab, der genau zum richtigen Zeitpunkt zur Stelle war.

    Ich schicke Dir altersmilde lächelnde Grüße
    Elvira

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