70 Jahre Leben – Die 60er Jahre: Zwischen Mief und Aufbruch

In die 60er Jahre fällt meine komplette Schulzeit. Damals wurden wir noch im Frühling, direkt nach den Osterferien, eingeschult.  Im April 1960 war es bei mir so weit.

Die einzigen Impfungen, die es zur damaligen Zeit gab, waren gegen Pocken und Kinderlähmung. Deshalb mußten wir Kinder durch alle Kinderkrankheiten durch. Ich hatte in diesem April Keuchhusten, eine schlimme Krankheit, die mehr als 6 Wochen andauerte. Die Folge war, dass ich 4 Wochen nach allen anderen eingeschult wurde. Also stand ich an meinem ersten Schultage ganz alleine mit einer Schultüte da. Bei meinen Mitschülern war das ja mittlerweile ein paar Wochen her, für Kinder in diesem Alter eine Ewigkeit. Mir schlug Unverständnis und teilweise blanker Neid entgegen. Eine Mitschülerin bespuckte mich sogar. Dieses Mädchen sollte auch in den nächsten Jahren häufiger durch assoziales Verhalten auffallen, was damals eher die große Ausnahme war.

Es gab zu dieser Zeit das dreigliedrige Schulsystem mit Volksschule, Realschule und Gymnasium und alle Kinder kamen zunächst einmal in die Volksschule. Meine Schule, die katholische Volksschule Lochnerstrasse in Köln, war ein uralter Bau.

Wir hatten in der ersten Klasse noch Schulbänke mit fester Bank am aufklappbarem Pult und Tintenfässern. Diese wurden von uns natürlich nicht genutzt, denn wir hatten Schiefertafeln und Griffel zum Schreiben. Gibt es das heute überhaupt noch? Wir hatten noch Schulranzen aus dickem braunem Leder. Die Dinger waren schon leer verdammt schwer und bestimmt nicht gut für unsere Rücken.

Unser Schulgebäude war zweigeteilt, links die Mädchen, rechts die Jungs. Auch die Schulhöfe waren strikt getrennt. Das änderte sich erst Mitte der 60er Jahre. In meinem 6. Schuljahr hatte ich die erste gemischte Klasse. Ebenfalls 1966 wurde der Schuljahresbeginn auf  den Spätsommer verlegt, was mir 2 Kurzschuljahre (8 statt 12 Monate) einbrachte. Gleichzeitig wurde die Pflichtschulzeit von 8 auf 9 Jahre verlängert.

In den gesamten 60er Jahren waren die Lehrer noch absolute Respektspersonen. Für einige davon war auch die Prügelstrafe ein adäquates Erziehungsmittel (lest hierzu meinen Beitrag “Die geprügelte Generation”). Herr Jendrisek, in der 6. Klasse mein Klassenlehrer, vergriff sich nur an den Jungs. Frau Schmitz hingegen, die meistgehaßte Lehrerin der ganzen Schule und im 7. und 8. Schuljahr meine Klassenlehrerin, machte da keine Unterschiede. Am liebsten kniff sie uns mit 2 Fingern in die Wange und drehte diese dann um. Das brannte wie Feuer. Ihr müßt aber nicht denken, dass, wenn wir uns zu Hause bei den Eltern beschwerten, uns diese zur Hilfe kamen. Die obligatorische Antwort auf unser Klagen war: “Dann hast du es auch verdient”.

Die ganze Schulzeit war ausgesprochen streng. Bis Mitte der 60er Jahre hatten wir auch Samstags Unterricht. Das verkürzte sich dann auf 2 Samstage im Monat. Zusätzlich mußten an 6 Tagen in der Woche nach der Schule und dem Mittagessen erst einmal Hausaufgaben gemacht werden. Da wir ab der 6. Klasse bis 14 Uhr Unterricht hatten, blieb nicht viel Freizeit.

Am Rosenmontag 1966 wurde meine Schwester Marion geboren. Hatte ich mir lange ein Geschwister gewünscht, kam es jetzt doch sehr spät. Immerhin war ich schon elfeinhalb Jahre alt. Trotzdem liebte ich Marion; sie war so klein und zart als sie aus dem Krankenhaus zu uns nach Hause kam. Daraus entwickelte sich relativ kurze Zeit später eine Art Haßliebe. Meine Mutter war wohl schon mit der bloßen Versorgung des Kindes überfordert oder hatte einfach keine Lust, sich mit ihr zu beschäftigen. Also mußte ich, sobald ich das Haus verließ um Freunde zu treffen, “das Kind”, wie meine Mutter sagte, mitnehmen. Und das nicht ab und zu, sondern immer. Auch mußte ich um acht Uhr mit meiner Schwester ins Bett, weil sie ohne mich nicht schlief.

 

Minirock und Astronautenmützen

Meine Mutter kannte ich als kleines Mädchen zu Hause nur mit Kittel. Sobald sie das Haus verließ, war sie elegant und schick, trug Kleider oder Kostüme. Sie war gelernte Damenschneiderin und nähte auch mir schöne Kleidchen – das Mini-Abbild von ihr. Allerdings hörte sie irgendwann mit dem Nähen auf. Als ich dann Teenager war, wäre ich dankbar für schöne selbstgenähte Kleider gewesen.

In meiner Kinderzeit wurde unterschieden zwischen Sonntags- und Alltagskleidung. Trägt Frau heute am Wochenende eher legere Kleidung, machten wir uns damals fein. Anfang der 60er Jahre begann die Jugend sich abzugrenzen. Eines Tages, ich muß so 8 oder 9 Jahre alt gewesen sein, sah ich in einem Modegeschäft den ersten Oben-Ohne-Badeanzug. Es hatten sich Menschentrauben vor der Auslage gebildet. Die Menschen diskutierten lautstark und waren entsetzt ob der Schamlosigkeit. Marry Quant kreierte den Minirock und die Strumpfhose wurde erfunden, ohne die das Tragen eines Minirockes bei kühleren Temperaturen nicht möglich gewesen wäre. Ich traute mich aber noch nicht so wirklich und ließ meine Mutter die Röcke und Kleider nicht kürzen. Mit meinen 1,56 m gingen mir die Klamotten bis zu den Knien. Erst mit ungefähr 14 Jahren konnten mir mit einem mal die Röcke nicht kurz genug sein. Etwa zur gleichen Zeit fingen wir Mädels an auch Hosen zu tragen. Modern waren Cordhosen mit Rosenmuster oder Stoffhosen in knalligen Farben. Sie waren knalleng mit Schlag und wir Mädchen trugen gerne ein Minikleid darüber. Beides könnten wir heute wieder tragen und es würde nicht auffallen. Die Farben wurden immer kräftiger und die Muster immer wilder. Das galt nicht nur für die Kleidung, sondern auch für Tapeten und Wohnaccessoires. Bei den Frisuren wurde noch viel toupiert. Im Gegensatz zur Kleidung waren sie noch ziemlich steif.

1967, im “Summer of Love”, schwappte die Hippie-Bewegung aus Amerika auch zu uns über und es entstand eine sehr individuelle Anti-Mode. Heute würden wir den Modestil “Grün” nennen. Es wurde selbstgenäht, gefärbt, gebatikt und gestrickt. Zu dieser Kleidung trugen wir bunten oder von den Indianern inspirierten Schmuck, den ich mir selbst bastelte und teilweise auch verkaufte. Es gab aber nicht nur Hippies, deren Stil ich mochte. Zum Entsetzen der älteren Generation gab es noch die Gammler, die immer ungepflegt aussahen und es wahrscheinlich auch waren. Sie lungerten herum und gingen aus Protest keinerlei Tätigkeit nach. Mods, Rocker und Beatfans hatten ebenfalls ihren eigenen Stil.

Auf die Minimode folgte Midi  (bis zu den Waden) und Maxi (bis zu den Knöcheln). Ich erinnere mich, ich hatte einen wunderschönen Knautschlackmantel in Weiß mit Kunstfell, weiße Knautschlack-Schnürstiefel und eine Astronautenmütze aus weißem Kunstfell. Ich fand mich bildschön und sah irgendwie aus wie ein Schneemann. Leider gibt es aus dieser Zeit überhaupt keine Bilder von mir. Irgendwie hat niemand damals fotografiert.

Ihren Höhepunkt fand die Hippiebewegung 1969 mit dem Festival in Woodstock. Ich glaube, zu keiner Zeit hat sich die Jugend so frei gefühlt wie danmals und meine Freundinnen und ich waren ein bißchen neidisch, weil wir nicht dabei sein konnten. Dafür waren wir leider ein paar Jährchen zu jung. Ab diesem Jahr wurde die Hippiemode immer mehr kommerzialisiert, was gleichzeitig ihr Ende bedeutete.

 

Schlager, Beat und Rock’nRoll

War mein Geschmack in den Kinderjahren noch von der Musik meiner Mutter geprägt, so fing ich mit etwa 12 Jahren an, meinen eigenen Musikgeschmack zu entwickeln. Anfang der 60er hörte ich noch Schlager wie: “Seemann, deine Heimat ist das Meer” von Lolita oder “Ein Schiff wird kommen” von Frau Valente. Dann aber faszinierte mich die neue Musik.  Mein erstes eigenes Lieblingslied “Pretty Woman” von Roy Orbison. Jahrzehnte später sollte dieses Lied zu neuem Ruhm gelangen, – als Titelmusik des gleichnamigen Films. Apropos Film: Ab 1966 prägte der Film “Dr. Schiwago” auch die Musik. Er lief ganze 4 Jahre in Köln in einem Kino, heute unvorstellbar. “Laras Theme”, die Filmmusik, war ebenfalls jahrelang in den Charts. In diesem Jahr sang auch Roy Black “Ganz in Weiß”. Dieses Lied hörte ich am 21. Februar, nachdem mein Vater mich nachts geweckt hatte, weil er meine Mutter ins Krankenhaus bringen mußte. Meine Schwester wurde geboren. Dieser Tag ist nun für immer mit dem Lied verbunden. Lieder unseres Lebens halt.

In meinem Zimmer hingen Poster von Barry Gibb, Barry Ryan und Ricky Shane, weil ich sie soooo süß fand. Die Bee Gees waren, zusammen mit den Beatles, meine Lieblingsband. Zu Songs wie Massachusetts, Word, Michelle und Yesterday träumte ich vor mich hin. Die Rollings Stones fand ich schrecklich – das änderte sich allerdings einige Jahre später.  Ricky Shane sprengte alle Ketten und wir wollten es ihm gleichtun. Graham Bonney sang von seinem “Supergirl” und ich träumte, dass ich es wäre. Songs wie “Young Girl” oder “Honey” trieben mir die Tränen in die Augen. Später wurde wild getanzt zur Musik von Manfred Mann, The Who, The Kinks und, und …. Die Liste würde endlos werden.

Was für Songs, was für eine Zeit.

 

Lebensgefühl und Freizeit

Als Kinder haben wir unsere Zeit noch zum größten Teil draußen verbracht. Wenn ich von der Schule kam wurde gegessen. Meist gab es etwas aufgewärmtes vom Vortag oder einfach nur Kartoffeln mit Butter oder Pudding. Wenn Vater in der Woche unterwegs war, gab es irgendwie kein richtiges Essen. Später, als er nicht mehr Fernfahrer war und abends nach Hause kam, wurde dann richtig gegessen.

Nach dem Mittagessen mußte ich zuerst einmal Hausaufgaben machen, sonst war nichts mit spielen. Meine Mutter hörte den ganzen Tag Musik. Für die damalige Zeit hatten wir relativ viele Singles (Schallplatten) Ein kleiner Plattenladen war ganz in unserer Nähe. Eine Single kostete 5 DM, was nicht gerade billig war, wenn man bedenkt das ein ganzes Brot 50 Pfg und 1 Brötchen 2 bzw. 3 Pfg kostete. Zu meiner Kinderzeit hörten wir vorwiegend Operetten und Schlager. Das hatte zur Folge, dass ich fast alle Operetten kenne und diese und die Schlager der damaligen Zeit mitsingen kann. Ein paar Märchenplatten hatte ich auch, die ich ebenfalls alle auswendig konnte. Sie waren nämlich meine Beschäftigung bei schlechtem Wetter. Bücher hatte ich nur ganz wenige, denn sie waren sehr teuer. Taschenbücher, die preiswerter gewesen wären,  gab es noch nicht.

Das Fernsehprogramm ging erst gegen 17 Uhr los mit der Kinderstunde. Einmal in der Woche kaufte Mutti mir ein Micky Maus Heft, die ich sammelte. Es gab noch keine Computer, kein Internet und keine Handys, wir hatten in den 60ern noch nicht einmal ein Telefon.

Draußen spielten wir Seilchen springen, Hüppekästchen und Gummitwist oder liefen Rollschuh. Wir lebten in der Kölner Innenstadt, die damals immer noch viele Trümmergrundstücke beherbergte. Es gab noch Kopfsteinplaster überall, was das Rollschuhlaufen ziemlich holprig machte. So schlug ich mir auch oft die Knie auf. Meine Mutter ging dann einfach mit dem Waschlappen darüber, pustete einmal (“wird alles wieder gut”) Pflaster drauf, fertig. Mit den Neubauten kamen dann auch die Kopfsteinpflaster weg und wurden durch größere und glattere Steine ersetzt. Ein Traum für uns Kinder, wir konnten endlich mit Rollschuhen anständig laufen und auch kleine Kunststücke einüben.

In unserem Haus gab es einige Kinder in meinem Alter. Wir durften, wenn wir nicht zu laut waren, auch im Hausflur spielen. Da wir auf der letzten Etage (4. Stock) wohnten, konnten wir den Aufgang zum Speicher herrlich nutzen. Wir bauten uns Zelte aus Betttüchern als Hausersatz und spielten Mutter und Kind. Am späten Nachmittag dann durfte ich das Kinderprogramm sehen und anschließend noch das Intermezzo, das heutige Werbefernsehen im ersten Programm. Das alles war noch in Schwarz/Weiß. Farbfernsehen gab es erst Mitte der 60er Jahre. Allerdings standen noch nicht so viele Filme in Farbe zur Verfügung, deshalb dauerte es noch bis zum Ende des Jahrzehnts bis die Welt wirklich farbig wurde.

Mein Lieblingstag war der Sonntag, denn da war mein Papa zu Hause. Oft zogen wir uns den ganzen Tag nicht an und spielten im Schlafanzug Karten oder Monopoly. Das war einfach herrlich.

Anfang 1965, mit erst zehneinhalb Jahre, bekam ich meine erste Menstruation – ein Schock für meine Eltern. Ab da war ich auch ein “Pupertier” und aus einem sehr lieben Kind, wurde ein aufmüpfiges junges Mädchen. Ende des 7. Schuljahres wäre ich in der Schule beinahe sitzengeblieben, weil mich alles andere mehr interessierte, als der Unterricht. Ich habe mich dann aber auf den Hosenboden gesetzt und kam doch noch glatt durch die Schulzeit.

Meinen ersten Freund hatte ich mit 12 Jahren – kein Sex, nur Knutschen. Er hieß Helmut Schwarz und war ein Schulkamerad, womit man uns beide wohl als frühreif bezeichnen konnte. Zu Hause wurde es zunehmend schwierig. Nicht nur wegen meinem pupertären Verhalten, sondern auch weil die Ehe meiner Eltern immer schlechter wurde. Inzwischen hatte mein Vater seinen ersten Herzinfarkt und durfte nicht mehr als Fernfahrer arbeiten. War er früher die ganze Woche nicht zu Hause, war er nun jeden Abend da. Durch das plötzliche, intensivere Zusammenleben kam immer mehr zu Tage, dass die beiden nicht wirklich zusammen paßten. Es gab immer häufiger schlimmen Streit und ich fühlte mich überhaupt nicht mehr wohl da mittendrin. Auch für mich gab es immer öfter Schläge, wenn ich aus der Reihe tanzte und das tat ich immer häufiger.

Im Herbst 1968, mit 14 Jahren, begann ich meine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Ich mußte zwar das meiste Lehrgeld zu Hause abgeben, aber zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich ein bißchen Geld für mich. So etwas wie Taschengeld gab es bei uns nicht. Mit acht/neun Jahren habe ich öfters einen kleinen Jungen aus der Nachbarschaft verwahrt. Die Eltern hatten eine kleine Buchbinderei in unserer Straße und waren froh, wenn ich ihr Kind beschäftigte. Dafür gab es eine Mark pro Tag. Hört sich wenig an, war aber für mich ein kleines Vermögen. Davon kaufte ich mir Hefte, Blöckchen oder Tierpostkarten. Hefte und Blöckchen und überhaupt schöne Dinge aus Papier liebe ich heute noch.

Ich hatte also Ende der Sechziger endlich ein wenig Geld für mich. Um die Ecke, auf der Luxemburger Straße, gab es die Diskothek “Big Apple”, die ich nun oft besuchte. Durch meine “Frühreife” sah ich älter aus und hatte keine Probleme hereingelassen zu werden. Meine Eltern kannten solche Lokale nicht, waren sie doch eine Erfindung meiner Generation. Sie hielten sie für dunkle Lasterhöhlen in denen “Gottweißwas” passierte. Um sie zu beruhien, nahm ich meine Mutter einmal mit dorthin. Meine Freunde waren sehr nett zu ihr, forderten sie sogar zum Tanzen auf, was sie dann einigermaßen beruhigte. Was sie nicht bemerkte waren die Drogenabhängigen, von denen es dort einige gab. Hätte sie das gesehen, hätte ich sicher nicht mehr dorthin gedurft. Ich selbst hatte immer einen starken Überlebenswillen und habe keine Drogen angefaßt.

Beim Tanzen vergaß ich oft die Zeit, was zu Hause wieder Prügel oder Hausarrest zur Folge hatte. Das und den ewigen Krach meiner Eltern hielt ich irgendwann nicht mehr aus und haute von zu Hause ab. Das aber war mit 16 und fällt in die 70er Jahre, von denen ich euch ein andermal erzähle.

 

Was sonst noch geschah

Bei der Recherche zu dem 60er Jahre Beitrag wurde mir sehr bewußt, wie lange ich eigentlich schon auf dieser Welt bin. Ich kenne noch alle Nachkriegspäpste von Pius XXII bis Franziskus, alle Bundespräsidenten von Heuss bis Steinmeier und alle Bundeskanzler von Adenauer bis Scholz. Diese Liste ließe sich endlos fortführen, aber ich will euch nicht unnötig langweilen.

Ereignisse, die ich in Folge aufführe, haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sind die, die ich selbst erinnere, weil sie mich zu der jeweiligen Zeit beeindruckt haben.

1960

Der erste große Umbruch in meinem Leben fand im Herbst 1960 statt. Ich wurde eingeschult und es begann “der Ernst des Lebens” wie meine Eltern sagten. Darüber habe ich ja bereits ausführlich berichtet. Im gleichen Jahr traten die Beatles zum ersten Mal in Hamburg auf. Berichte über die Auftritte im Fernsehen kommentierte meine Mutter ausführlich. Die Drohung:”Wenn du dich jemals so benimmst, wie die jungen Leute bei diesem Konzert,” – sie kreischten und heulten – “bekommst du einen Eimer Wasser über den Kopf”, beeindruckte mich nicht wirklich. Ich fand diese neue Musik, im Gegensatz zu den Schlagern und Operetten, die meine Mutter immer hörte, sehr aufregend. Schon allein, dass die Eltern sie nicht mochten, machte das Ganze interessant. Die Beatles mit ihren Frisuren, die so anders waren, als die unserer Väter, beeindruckten mich sehr und ich verliebte mich ein wenig in Paul McCartney.

1961

In Berlin wurde die Mauer gebaut. Die allgemeine Aufregung war groß und die eine oder andere Träne floß. Das wir in Ostdeutschland niemanden kannten, spielte dabei keine große Rolle. Fortan wurde Weihnachten immer eine Kerze ins Fenster gestellt. Ein Symbol dafür, dass wir an unsere Schwestern und Brüder “drüben” dachten. In diese Zeit fiel auch der Eichmann-Prozeß in Jerusalem. Ich erinnere mich an einen großen Glaskasten in dem ein unscheinbarer Mann saß und ich spürte die beklemmende und traurige Stimmung, auch wenn ich nicht wußte, um was es eigentlich ging.

1962

Meldungen über Schüsse und mißlungene Fluchtversuche aus der DDR sind schon fast Routine. Am 17. August wurde Peter Fechter an der Berliner Mauer erschossen. Den 50minütigen Todeskampf verfolgt die ganze Welt.  Die Bild titelt am nächsten Tag: “Vopos ließen 18-Jährigen verbluten – Amis sahen zu.” In den Tagen darauf eskalieren die Proteste, Polizisten aus Westberlin schützen die Mauer vor Demonstranten. Es flogen Steine, gegen die Polizei, dann wird die Mauer von West-Beamten mit Stacheldraht großräumig abgeriegelt. Alle Proteste nützten nichts, es mussten noch viel zu viele Menschen an der Mauer oder auf der Flucht ihr Leben lassen. Diese Nachrichten und Bilder haben sich fest eingebrannt in meine Kinderseele.

Dann erinnere ich mich an Bilder von Adenauer in Frankreich und von De Gaulle in Deutschland. Die beiden Länder schließen nach dem Krieg wieder Freundschaft. Ein Grund zu Freude, jedoch überschattet von der Kuba-Krise. Meine Eltern sprachen immer wieder davon, dass es wieder Krieg geben könnte. Obwohl ich nicht wirklich wußte, was Krieg ist, machte es mir große Angst und damit war ich wohl nicht die Einzige.

1963

Anfang 63 besuchte John F. Kennedy Deutschland und alle Frauen waren schockverliebt. Ich erinnere mich gut, dass, als er im November erschossen wurde, die Nachricht wie ein Lauffeuer durch unsere Nachbarschaft ging. Die Frauen weinten und alle waren tieftraurig. In Deutschland war er der beliebteste amerikanische Präsident aller Zeiten.

In diesem Jahr flog die erste Frau ins All, aber irgendwie erinnere ich mich nur an den Affen in der Rakete. Das war einiges früher, hat sich aber in meiner Erinnerung mehr festgesetzt. Das Weltall war schon in meiner frühen Kindheit sehr faszinierend für mich. Als ab 1966 die Serie Raumpatrouille im Fernsehen lief, verpaßte ich keine Folge. Noch heute bin ich absoluter Science ficton Fan. Ich spann herum, wie meine Mutter meinte. Ich stand auf dem Balkon, schaute in die Sterne und stellte mir vor, welch spannende Welten es dort in der Ferne wohl gab. Überhaupt gab es zur damaligen Zeit sehr viel Wissenschafts- und auch Astronomiesendungen, die ich schon früh gerne schaute. Auch wurde jeder Raketenstart live im Fernsehen übertragen. Heute erfährt man nur noch am Rande davon.

Ein zweites Ereigeniss beherrschte das Jahr. Das war das Grubenunglück von Lengede. Ich erinnere mich an wochenlange Berichterstattung, an Bohrungen und an die Rettung von Bergleuten – an “das Wunder von Lengede'”.

1964/65

Cassius Clay wird überraschend Boxweltmeister. Für mich der beste Boxer aller Zeiten. Da er meist in Amerika kämpfte, wurde dies zu nachtschlafender Zeit im Fernsehen übertragen. Mein Papa weckte mich immer und wir schauten zusammen. Ich habe es geliebt.

In diesem Jahr begann die USA mit dem Bombenkrieg in Vietnam. Die Studenten, auch in Köln, gingen aus Protest auf die Straßen.

Die ersten italienischen Gastarbeiter zogen in unsere Nachbarschaft. Das war gleichzeitig meine erste Berührung mit der großen, weiten Welt.

Diese Zeiten hätten auch für mich eine große Veränderung bringen können, denn es wurden die Weichen für den Besuch der Real- oder Höheren Schule gelegt. Trotz Empfehlung meiner LehrerInnen entschieden sich meine Eltern dagegen. Argument meines Vaters: “Du bist hübsch, du heiratest ja sowieso”. Er wußte es halt nicht besser.

Der Film “Das Schweigen” kam in die Kinos und war, wegen seiner Offenheit, ein Skandal. Meine Eltern schauten ihn sich zusammen mit Freunden im Kino an und meine Mutter war entsetzt. Die Zeiten waren so entsetzlich prüde. Sieht man den Film heute, verstehen wir die Aufregung überhaupt nicht mehr. Trotzdem läutete der Film irgendwie die sexuelle Revolution ein.

1966/67

Die Jahre 66 und 67 waren von Vietnam-Demos und Kulturrevolution in China geprägt. In dieser Zeit wurde auch mein politisches Bewußtsein geweckt. Bei einer dieser Demonstrationen wurde Benno Ohnesorg erschossen. Bilder, die ich nie vergessen habe. In der Folge werden aus den Demonstrationen Revolten. Kaum eine Demo ging mehr gewaltlos vorbei. Die RAF betritt die Bildfläche und der Wiederstand gegen die verstaubte und verlogene Obrigkeit wächst immer mehr.

Noch zu jung um wirklich dabei zu sein, übertrug sich diese Revolte im Kleinen auch auf mich. In diesen Jahren mußte ich auch um alles kämpfen, denn das Meiste war für die Eltern neu und wurde somit verboten. Diese Kämpfe gingen auch nicht gewaltlos vorbei, wie ich bereits erzählte.

Wie erging es euch in diesen besonderen Jahren. Ich freue mich auf eure Kommentare.

 

6 Kommentare

  • Sabine Gimm

    Liebe Karin, das kenne ich noch. Ich bin 1967 eingeschult worden. Damals herrschten noch andere Sitten. Das war auch in den 70er Jahren noch so. Da gab es schon mal was an die Ohren. War nicht so lustig.

    Die Lehrer heute tun mir aber auch leid. Entweder kümmern die Eltern sich nicht um die Erziehung oder es gibt “Übereltern”, die sich in alles einmischen.

    Liebe Grüße Sabine

  • Irmi

    Liebe Karin,
    das ist ein Zurückbesinnen in die Vergangenheit. Ich schreibe morgen etwas Ähnliches. Allerdings bin ich noch einmal etliche Jahre älter.
    Ich habe deine Ausführungen mit großem Interesse gelesen. Danke für diese gute Darstellung.
    Einen angenehmen Wochenteiler wünscht dir
    Irmi

  • Marie

    Oh, welche Nostalgie. Ich hatte auch noch Schiefertafel und Griffel und einen Lederranzen der natürlich nicht neu war. Später wurde mit Bleistift geschrieben und dann mit einem Füller wo man die Tinte wie mit einer Spritze auffüllen musste und der ewig kleckste. Geschlagen wurden wir von unseren Lehrern nicht mehr aber es gab Lehrer die die Jungs an den Ohren zogen. Das war schmerzhaft für die Betroffenen und nicht weniger schlimm als Schläge. Samstagunterricht kenne ich auch noch.
    Beste Grüße Marie

    • Karin Austmeyer

      Nostalgie, oh ja. Ich arbeite gerade die Sechziger auf. Es kommt noch Freizeit und Gesellschaft. Ist ein eigenartiges Gefühl, sich in diese Zeit zurück zu versetzen.
      Danke für deinen Kommentar.
      Liebe Grüße Karin

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