Lebenslinien – mein Geburtsjahr 1954

Heute beginne ich nochmal eine nostalgische Reise durch die Jahre meines (und eures) Lebens. Der erste Anlauf hat aus verschiedenen Gründen nicht so geklappt, wie ich das wollte.

Ab heute wird es jeden letzten Sonntag im Monat einen Beitrag geben.  Es geht um wichtige Stationen meines eigenen Lebens und um die Begebenheiten, die in dieser Zeit in der Welt passierten. Ich hoffe, ihr habt ein wenig Freude daran und erinnert euch an die eigenen Lebensetappen.

Am 18. September 1954 wurde ich in der Frauenklinik Köln geboren. Laut meinen Eltern war ich leider ein Unfall, denn meine Mutter wurde zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt mit mir schwanger.

Ich hatte eine große Schwester namens Gisela. Sie wurde im Juni 1953 geboren. Zunächst schien sie ein normales und gesundes Kind zu sein. Sie hatte lediglich einen etwas grösseren Kopf, was bei der Mütterberatung (die es damals noch gab) mit Vererbung erklärt wurde, obwohl wir in der Familie alle eher kleine Köpfe haben. Als Gisela dann später keine Anstalten machte zu laufen, ich war zu diesem Zeitpunkt schon unterwegs, wurde sie genauer untersucht und es wurde Toxoplasmose festgestellt – eine Infektionskrankheit, entstanden durch ein Tier oder rohes Fleisch in der Schwangerschaft. Diese Diagnose war natürlich niederschmetternd für meine Eltern. Bedeutete es doch, dass meine Schwester nie würde laufen können und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht sehr alt werden würde. Die Ärzte rieten meinen Eltern zu einer Hirnoperation, obwohl die Erfolgsaussichten nicht sehr hoch waren. Es war aber immerhin eine kleine Chance für Gisela doch noch ein normales, gesundes Mädchen werden zu können.

Als ich dann geboren wurde stellten die Ärzte fest, dass meine Mutter immer noch den Toxoplasmose-Erreger in sich trug. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie sehr meine Eltern sich um mich sorgten. Eine Säuglingsschwester hatte Mitleid und zeigte ihnen, wie gesund ich doch war. Sie hängte mich (ich war gerade zwei Tage alt) mit den Händen an eine Stange. Als ich dann wütend schrie, ließ sie mich los. Der Greifreflex, den alle gesunden Babys haben, funktionierte wunderbar. Ich hing ohne fremde Hilfe an der Stange. Diese Tatsache konnte meinen Eltern ein wenig die Sorge um mich nehmen.

Meine Schwester allerdings war nicht besonders begeistert von mir und nannte mich verächtlich “Babys”.  Leider verstarb Gisela ein Jahr später. Schade, ich hätte gerne eine grosse Schwester gehabt. Meine Mutter sagte mir später oft, dass sie nicht wüsste, was sie getan hätte, wenn ich zu diesem Zeitpunkt nicht da gewesen wäre. So hatte der “Unfall” meiner Empfängnis doch einen Sinn und bestätigt meinen tiefen Glauben an Schicksal. Nichts im Leben passiert zufällig.

Was sonst noch im Jahr 1954 passierte:

  • Die beliebtesten Vornamen waren Angelika, Monika, Gabriele, Renate, Karin, Hans, Wolfgang, Klaus, Peter und Michael.
  • Das Wunder von Bern – Deutschland wird Fußball-Weltmeister.
  • Mit Namen wie Bill Haley und Elvis Presley begann der Rock’nRoll seinen Siegeszug um die Welt.
  • Bundeskanzler 1954 war Konrad Adenauer.
  • Einen Tag vor dem Sendebeginn des italienischen Fernsehens warnte Papst Pius XII. (1876-1958) vor den Gefahren dieses Mediums für die Familie.
  • Der US-amerikanische General des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (NATO), Lawton Collins (1896-1987), forderte in einem TV-Interview die Aufstellung bundesdeutscher Truppen zur Verteidigung Europas und die langfristige Integration der Bundesrepublik in die NATO.
  • In Frankreich löste der eindringliche Appell des französischen Armenpriesters Abbé Pierre, der darum bat, für Obdachlose in dem kalten Winter 1953/1954 zu spenden, da sie vom Kältetod bedroht seien, eine außergewöhnliche Welle der Hilfsbereitschaft aus.
  • Für sein autobiografisches Buch „The Spirit of St. Louis“ (deutscher Titel: Mein Flug über den Ozean) erhielt der US-Amerikaner Charles Lindbergh (1902-1974) den Pulitzer-Preis.
  • In der DDR wurde die „Deutsche Lufthansa“ gegründet, die 1958 in „Interflug“ umbenannt wurde.
  • Die 1940 eingeführte Rationierung von Speck und Fleisch in Großbritannien wurde abgeschafft.
  • Der französische Pantomime Marcel Marceau (1923-2007) begann seine Tournee durch die Bundesrepublik.
  • Um im Falle eines Angriffs auf Taiwan (Formosa) sofort mit US-Truppen eingreifen zu können, schlossen die Vereinigten Staaten und Taiwan ein gegenseitiges Verteidigungsabkommen.

Dies sind nur einige Auszüge um sich ein Bild von dieser Zeit machen zu können.

 

13 Kommentare

  • Irmtraud Schröder

    Hallo Karin,ich finde deine Geschichte sehr berührend.Ich bin etwas jünger,4. Oktober 1954. Unsere Wohnsituation war ähnlich.
    Ich freue mich, dich und diesen tollen Blog entdeckt zu haben.
    LG, Irmtraud

  • Renate

    Liebe Karin,
    die Serie würde sich später sehr gut als Buch machen. Lass dir das mal durch den Kopf gehen! Meine älteste Schwester heißt auch Gisela, wir sind 10 Jahre auseinander.
    Das war schon sehr tragisch mit deiner Schwester. Zum Glück hatten deine Eltern dann dich. Wir waren vier Mädels zuhause.
    Witzig das mit dem Pabst! Einen Fernseher haben wir sehr spät bekommen. Mein Vater war lange Zeit dagegen. Er war der Meinung, dass die Kinder dann nur noch in die Glotze schauen. Dabei war er später derjenige, der von morgens früh bis zum Bettgehen durchgehend vor dem Fernsehen saß. Die Kiste war immer an, auch während des Essens.

    Liebe Grüße
    Renate

    • Karin Austmeyer

      Wer weiß, was noch alles passiert in meinem Leben. Ein Buch – vielleicht.
      Mit dem Fernsehen war es bei uns genau so. Er lief immer und das bis zum Testbild. Allerdings begann das Programm ja erst Nachmittags und endet meist gegen Mitternacht.

  • Pia

    Liebe Karin, ich glaube nicht an viel, aber daran, dass im Leben nichts zufällig passiert, fest. Danke für Deine bewegende Geschichte!
    Viele Grüße
    Pia

  • Gabi

    Hallo Karin, ein schöner Bericht. Ich bin im Oktober 1954 geboren. Heute denke ich oft – das war so eine andere Zeit eigentlich bis in Ende 1970 zumindest kommt es mir so vor. Bis heute hat sich so viel geändert. Wir hatten vieles nicht, trotzdem hat es uns an nichts gefehlt, finde ich. Liebe Grüße Gabi

    • Karin Austmeyer

      Danke Gabi, ja die Zeit war eine andere und vermissen kann man ja nur die Dinge, die man kennt. Wir kannten es nicht anders und waren glücklich.

  • Sabienes

    Vielen, vielen Dank für diesen tollen Beitrag! So eine Retrospektive des Geburtsjahrs ist mehr als interessant (klingt vielleicht für junge Leser so, als würde man über das Mittelalter berichten). Vielleicht werde ich deine Idee aufnehmen (wenn du nichts dagegen hast) und auch einen ähnlichen Beitrag verfassen (über das Jahr 1959 – Mann, bin ich jung!)
    Das Schicksal deiner großen Schwester ist sehr tragisch. Die Vorsorge, Fürsorge und Früherkennung war damals im wahrsten Sinne des Wortes in den Kinderschuhen.
    Was für ein Glück, dass du von dieser Erkrankung nicht selbst betroffen warst!
    LG
    Sabienes

    • Karin Austmeyer

      Natürlich darfst du die idee aufnehmen. Finde ich sogar gut.
      Ja, ich habe Glück gehabt. Meine Mutter hatte den Erreger sogar noch 1966, bei der Geburt meiner kleinen Schwester, in sich.

Ich freue mich auf deinen Kommentar.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.