Tagsüber Mutter und Freundin, abend Hure

Mit ungefähr neun Jahren hatte ich eine Schulfreundin namens Ramona an der ich sehr hing. Sie wurde zu meiner besten Freundin und ihre Mutter Maria freundete sich gleichzeitig mit meiner Mutter an.

Tante Maria – wir nannten früher alle Erwachsenen außerhalb der Familie, die wir duzen durften, Tante oder Onkel – war ein wunderbarer Mensch. Sie besuchte uns oft und verstand sich mit meinen Eltern großartig. Auch an Geburts- oder Feiertagen war sie ein gern gesehener Gast. Sie war großzügig und liebevoll zu uns.

Maria hatte ihrerseits eine Freundin namens Erika, eine schöne blonde junge Frau. Eigentlich war sie eine Kollegin, wie wir später erfuhren. Eben diese Erika führte uns Kinder am Wochenende ab und zu zum Frühstück ins Kölner Cafe Franck. Es war ein sehr feines Cafe und wir Kinder, die solchen Chic nicht gewohnt waren, genossen diese Momente sehr. Es gab so tolle Sachen wie „Eier im Glas“, die wir von zu Hause nicht kannten.

Meine Mutter wunderte sich wohl, warum wir niemals zu Maria nach Hause eingeladen wurden. Irgendwann fand sie heraus, das Maria als Prostituierte arbeitete und mit Ramona in einer kleinen Pension lebte. Umgehend beendete sie die Freundschaft und verbot mir gleichzeitig den Umgang mit meiner Freundin. Ich erinnere mich gut, wie sehr ich darunter gelitten habe, zumal ich sehr an den beiden hing und das „Warum“ überhaupt nicht verstand. Obwohl ich heimlich, zumindest in der Schule, mit Ramona weiter befreundet blieb, war es natürlich nicht mehr das Gleiche.

Maria heiratete einige Jahre später einen ihrer Freier. Ich, inzwischen zwölf Jahre alt, besuchte sie (wieder heimlich) mit meiner kleinen Schwester in ihrer neuen Wohnung. Sie hat sich wahnsinnig gefreut und mich sehr liebevoll behandelt.

Ein Problem mit dem ältesten Beruf der Welt habe ich bis heute nicht. Ich frage mich, ob meine Mutter damals richtig gehandelt hat, zumal wir Kinder von Marias Beruf nichts mitbekommen haben. Wie seht ihr das?

 

7 Kommentare

  • Tina

    Hm, finde ich schwierig, das zu beurteilen. Für deine Mutter war es damals die richtige Entscheidung. Ich finde es jedoch toll, dass du weiterhin mit Ramona befreundet geblieben bist. Kinder können ja schließlich nichts dafür, wer ihre Eltern sind, oder wo sie herkommen.
    Wenn ich so über mich nachdenke, dann fällt mir auf, dass ich mir in erster Linie die Kinder ansehe, mit denen meine Kinder Kontakt haben. Sind das anständige Kinder oder Auftreiber. Und da ist es mir egal, dass F. ein Flüchtlingskind ist und M. das dritte Kind vom dritten Mann. Die Mutter von letzterem halte ich übrigens für eine tolle Frau. Es ist viel schief gelaufen in ihrem Leben, aber sie hat drei wirklich tolle Kinder. Sie ist eine tolle Mutter. Und ich denke, Maria war bestimmt auch eine hervorragende Mutter.
    Einem Kind ist nicht damit geholfen, wenn man es aufgrund der Tätigkeit der Eltern ausgrenzt.
    LG, Tina

    • Karin Austmeyer

      Genau so sehe ich das auch liebe Tina. Ich verstehe aber auch nicht, wieso man nicht mit einem tollen Menschen befreundet sein kann, egal welchen Beruf diejenige hat. Solange die Kinder nicht mit dem Milieu in Berührung kommen, ist doch alles in Ordnung.

  • Sabine Ingerl

    Du auf jeden Fall hast richtig gehandelt und eine wertvolle Freundschaft aufrecht erhalten. Meinen Eltern war wichtig, was die Leute redeten. Sie hätten sicher genau so gehandelt, wie Deine Mutter. Ich habe mir aber meine Freunde auch selbst ausgesucht. Nicht immer wussten sie, mit wem ich befreundet war.
    Liebe Grüße
    Sabine

  • Sabienes

    In der damaligen Zeit war die Reaktion deiner Mutter auf jeden Fall nachvollziehbar. Aber das macht es natürlich nicht besser.
    Heutzutage würde man vielleicht offener miteinander reden. Wobei sich diese Branche wohl ziemlich gewandelt hat (rede mal mit einer Zwangsprostituierten aus der Ukraine oder Kambodscha … )
    LG
    Sabienes

  • Sonja Schiff

    Richtig? Falsch? Ich denke deine Mutter hat einfach den damaligen Normen entsprechend gehandelt. Diese Normen sind wieder entstanden durch Prägung der vorherigen Generation. Und wir haben uns als Generation zum Glück weiterentwickelt, haben unsere Normen, andere Normen entwickelt. Die finden übrigens jetzt junge Generationen oft daneben 😉 Hat Deine Mutter richtig gehandelt? Aus damaliger Sicht, ja. Aus heutiger Sicht, nein. Aus morgiger Sicht?…. wir werden sehen…

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