70 Jahre Leben – 1976 bis 1979: RAF und Disco

Nach meiner Heirat Ende 1975 war ich zunächst ziemlich stolz, fühlte mich erwachsen und hielt gerne meine Hand so, dass man meinen Ehering gut sehen konnte. Erst spät merkte ich, dass mein Mann sich veränderte. Er mutierte mehr und mehr zum Macho für den „sein Haus, sein Auto, sein Boot…“ eine immer größere Rolle spielte.

Um seine Ziele zu erreichen, wurde er immer sparsamer bis es nahezu an Geiz grenzte. Was trotzdem immer drin war: Wir gingen jedes Wochenende tanzen und fuhren einmal im Jahr in Urlaub.

 

Leben und tanzen

Wir verlebten die obligatorischen „guten und schlechten Zeiten“ miteinander. Es war die große Zeit von ABBA, John Travolta und den Bee Gees und die Diskotheken waren mehr als gut besucht. Unser Stammlokal war lange Zeit „Omas Schnapshaus“ in Köln, wo es gute Musik, nettes Publikum und tolle Cocktails gab. Das der Barkeeper mich sehr gerne mochte und uns von jedem gemixten Cocktail probieren ließ, kam dem Spartrieb meines Mannes sehr entgegen. So kamen wir mit jeweils einem Getränk durch den gesamten Abend.

Später lernten wir in der Nachbarschaft ein junges Paar kennen, die beide aus Düren stammten. Ab diesem Zeitpunkt wurden wir Stammgast in einer Dürener Disko, deren Namen ich leider vergessen habe.

 

Auch Karneval wird getanzt und gefeiert

Schwester, Streit und Käserinde

Meine Schwester kam so langsam ins Teenageralter. Da sich die Verhältnisse in unserem Elternhaus nicht wesentlich gebessert hatten, flüchtete sie sich immer öfter an den Wochenenden zu uns. Diese Tatsache führte immer wieder zu Streit zwischen meinem Mann und mir. Hielt er mich auch immer kurz und sorgte mit seiner Machoart dafür, dass mein Selbstbewußtsein „mit Hut unterm Teppich“ durchpasste, so ließ ich mir in Bezug auf meine Schwester gar nichts sagen. Seit ihrer Geburt war ich immer mehr Mama als Schwester. Unsere Mutter kümmerte sich nicht wirklich und überließ „das Kind“ gerne mir.  Dadurch wuchs in mir ein großes Verantwortungsbewußtsein, gegen das auch mein Mann nicht ankam.

Wenn wir Samstags zum Tanzen gingen war meine Schwester alleine zu Hause. Sie bediente sich gerne an den Süßigkeiten, für mich ganz normal, für meinen Mann unmöglich. Nach dem Wochenendeinkauf durften wir keineswegs frisches Brot essen; wir mußten erst einmal das knochentrockene Brot aufbrauchen. Wenn wir beispielsweise die Rinde am Käse zu dick abschnitten, brach ein Donnerwetter los. Er verbot mir auch die „Emma“ (damals frisch auf den Markt gebrachte Zeitschrift von Alice Schwarzer) zu lesen. Ich hätte ja übermütig werden können. Arbeiten und Geldverdienen durfte ich, denn das Geld wurde ja zum Sparen benötigt.

1977 wechselte ich in die Herstellungsabteilung eines Verlages. Ich verdiente recht gut, bekam aber nur 200 DM (ca. 100 €) Taschengeld. Hiervon mußte ich meine Fahrtkosten, meinen Friseur und all die Dinge die Frau so braucht, bezahlen. Einmal im Jahr gab es 500 DM um Kleidung für uns beide zu kaufen.

Das sind nur einige Beispiele von vielen. Wenn ich heute so darüber nachdenke, verstehe ich mich selbst nicht mehr. Wie habe ich das solange aushalten können?

Dass wir trotz dieser extremen Sparsamkeit einmal die Woche in die Disko gingen, war wohl seiner Eitelkeit zu verdanken. Mein Mann war ein sehr guter Tänzer und ich tanze ja eh für mein Leben gern und wir waren als Paar richtig gut. Nicht selten blieben die anderen Tanzpaare stehen um uns zuzusehen. wir hätten damals durchaus in dem Film „Saturday Night Fever“ mitspielen können. Solche Auftritte liebte mein Mann. Ich wollte dann unbedingt eine Tanzschule besuchen. Das durfte ich, mußte es aber von meinem Taschengeld bezahlen. Er ging nicht mit; hätte ihn ja Geld gekostet.

 

Urlaub und die anderen Frauen

Wir fuhren einmal im Jahr nach Mallorca. Im ersten Jahr nach unserer Hochzeit hatte er mich alleine dorthin geschickt. Er wollte lieber arbeiten, weil sein Chef ihm für diese Zeit 50 % Aufschlag zahlte. Eigentlich sollte ich meinen Urlaub alleine zu Hause verbringen, aber dieses Mal setzte ich mich durch und flog nach Mallorca. Es war mein erster Flug und bis dahin war ich noch nie am Meer. Die Reise war unglaublich schön und mein Reiseziel „Cala Ratjada“ zu dieser Zeit noch nicht so überlaufen. In der Zukunft sollte dieser Ort unser jährliches Reiseziel werden.

Ich fand unsere Ferien dort auch wirklich schön, bis wir während eines Urlaubs zwei junge Frauen aus Essen kennenlernten. Zu den extrem eifersüchtigen Menschen gehörte ich nicht, deshalb war die Freundschaft zu den Mädels kein Problem für mich. Allerdings stellte sich diese Tatsache als großer Fehler heraus.  Bei einem gemeinsamen Ausflug nach Faro de Capdepera und einem Spaziergang durch den dortigen Pinienwald, war mein Mann mit einer der Damen plötzlich verschwunden. Nach einer relativ langen Wartezeit machten wir Übriggebliebenen uns auf den Weg zurück ins Hotel. Wie der Rest des Urlaubs verlief, könnt ihr euch ja vorstellen. Wußte ich, dass er während seiner Bundeswehrzeit in Hamburg bereits fremdgegangen war (er besuchte mit den Kameraden ein Bordell), so war diese Situation eine völlig andere. Aber aufgeben war keine Option für mich. Dass er mit jeder fremdging, die bei drei nicht auf dem Baum war, sollte erst später ein Rolle spielen.

 

Schaffe, schaffe Häusle bauen

1979 war es soweit. Wir hatten tatsächlich 50.000 DM Startkapital gespart und konnten mit dem Bau eines Hauses beginnen. Inzwischen hatten wir in einem Bergheimer Vorort ein günstiges Baugrundstück ergattert und schauten uns dutzende Fertighäuser an. Entschieden haben wir uns dann für eine japanische Fertigbaufirma, die ihre Häuser in Stahl und Stein (erdbebensicher) baute. Fast täglich fuhren wir nach der Arbeit zur Baustelle. Nachdem der Keller, der herkömmlich gemauert wurde, fertiggestellt war, stand von heute auf morgen das komplette Gerüst des Hauses. Diese Tatsache versetzte damals die gesamte Nachbarschaft in Erstaunen.

Im Fernsehen lief die Serie „Holocaust“, eine Fernsehserie die Geschichte schrieb. Wir bemühten uns immer, nach unserer Baustellenbesichtung, pünktlich zum Beginn um 20:15 h zu Hause zu sein. Wir hatten keinen Videorekorder und an Streamen war noch lange nicht zu denken. Diese Serie hat in mir bis heute einen starken Eindruck hinterlassen.

Im November 1979 konnten wir unser Haus beziehen und feierten dort das erste Weihnachtsfest mit der gesamten Famile. Wir waren so stolz.

Glück bringen sollte das Haus uns nicht, aber das erzähle ich Euch nächsten Monat.


In diesem Jahrzehnt wurden Microsoft und Apple gegründet. Der PC tritt seinen Siegeszug an.

Die 70er Jahre waren schrill, turbulent und voller Veränderungen und Umbrüche. Hippie-, Frauen-, Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung sprechen für sich. Die Entstehung des Punks zeigt den Drang der Jugend zur Revolotion gegen die Gesellschaft. Heikle Themen wie Diskussionen um „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, das Aufkommen von Peepshows oder dem „Schulmädchenreport“, waren kein Tabu mehr.

 

Die Musikszene

Die Musikszene veränderte sich. 1976 kommt die Punkmusik u.a. mit den Sex Pistols auf. Bob Marley brachte uns den Reggae, die Puhdys veröffentlichten ihren Kultsong „Alt wie ein Baum“ und ABBA schafft mit „Dancing Queen“ einen unvergänglichen Hit.

1977 stirbt Elvis Presley und 1978 tanzt John Travolta mit Olivia Newton John über die Kinoleinwände. Karat veröffentlich den Kulthit „Über sieben Brücken mußt du gehen“.

1979 entsteht in der Bronx der Hip-Hop und AC/DC erklimmt den „Highway to Hell“. Erst seit diesem Jahr unterscheidet die Musikwelt zwischen Rock- und Popmusik.

 

Mode und Lifestyle

Wie trugen Pullunder, wadenlange (Midi) Ledermäntel, Latzhosen, weite Röcke mit Sattel, Plateauschuhe, Jeans mit Schlag, Ponchos und Stiefel. In der Discoära waren glitzernde Overalls, Pailetten, Satin und Neckholder-Tops groß in Mode.

Räucherstäbchen vernebelten die Wohnungen. Wir hatten Setzkästen an den Wänden, räkelten uns in verwandelbaren Wohnlandschaften und hatten vorzugsweise schwarze Schrankwände. Die Designer entdeckten die Macht des Lichtes. Lampen, wie z.B. die berühmte Bogenlampe, aus dieser Zeit sind heute noch sehr beliebt.

Der Hunger der Gäste wurde gerne mit Ragout Fin, mit Käse überbackener Zwiebelsuppe oder Fondue gestillt. Als Geränke waren Blue Curacao, Sangria, Afri Cola mit Kümmerling und Bluna mit Eierlikör sehr beliebt.

 

Die wichtigsten Ereignisse in dieser Zeit

1976

  • Mao Zedong stirbt
  • Jimmy Carter wird amerikanischer Präsident
  • Aufstand in Soweto (Südafrika) gegen die Apartheid
  • Der Lockheed-Skandal führt zu vielen Rücktritten
  • Die Gurtpflicht in Autos wird eingeführt
  • Die Concorde nimmt ihren regulären Betrieb auf
  • Isabel Peron wird festgenommen
  • Unlrike Meinhof erhängt sich in ihrer Zelle
  • Große Hitzewelle in Deutschland
  • Carl Gustaf von Schweden heiratet Silvia Sommerlath
  • Die chinesische Kulturrevolotion endet
  • Apple wird gegründet
  • Erste Landung auf dem Mars
  • Bei einem Erdbeben in Guatemala kommen mehr als 23.000 Menschen ums Leben. Ein weiteres Erdbeben, 150 km von Peking entfernt, fordert bis zu 800.000 Meenschenleben
  • Die Krimiautorin Agatha Christie stirbt
  • Helmut Schmidt wird Bundeskanzler

1977

  • Hans-Martin Schleyer wird von der RAF entführt und ermordert
  • Brigitte Mohnhaupt wird aus der Haft entlassen
  • RAF ermordet des Generalbundesanwalt Buback
  • Bei einem Entführungsversuch durch die RAF wird der Vorstandssprecher der Dresdener Bang Jürgen Ponto erschossen
  • In der sogenannten Todesnacht von Stammheim am 18. Oktober nehmen nich Andreas Bader, Gudrun Enslin und Jan-Carl Raspe das Leben

1978

  • Papst Paul VI stirbt. Albino Kardinal Luciani wird Papst Johannes Paul I. Er stirbt nach nur 33 Tagen im Amt. Der Pole Karol Wojtyla wird zu seinem Nachfolger (Johannes Paul II) gwählt.
  • Der ehemalige italienische Ministerpräsident Aldo Moro wird von der Terrorgruppe „Rote Brigaden“ entführt und ermordert
  • In London wird das erste Retortenbaby geboren
  • Siegmund Jähn fliegt als erster deutscher Raumfahrer ins All
  • Johannes Rau wird Ministerpräsident in NRW
  • Die deutsche Handball-Nationalmanschaft wird Weltmeister
  • Der 1. FC Köln wird Deutscher Meister

1979

  • Magaret Thatcher wird erste weibliche britische Premierministerin
  • Schah Reza Pahlavi verläßt den Iran
  • Israel und Ägypten unterzeichnen in Camp David den Friedensvertrag
  • Zum ersten Mal wird ein europäisches Parlament gewählt
  • Die Cap Anamur nimmt die ersten vietnamesischen Flüchtlinge auf. Es ist der Beginn einer 7jährigen Rettungsaktion, bei der 11.000 Geflüchtete gerettet werden
  • Der Nato-Doppelbeschluß zur Nachrüstung von Atomwaffen wird getroffen
  • Die Vereinten Nationen verabschieden das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
  • Der über 10jährige Bürgerkrieg im Baskenland endet mit der Gewährung vvon weitreichender Autonomie
  • Die erste Weltklimakonferenz findet in Genf statt
  • Sony bringt den ersten Walkman auf den Markt
  • Zwei Familien fliehen mit einem selbstgebauten Heißluftballon aus der DDR
  • Der HSV wird Deutscher Meister

Dieses Jahr wird als Schlüsseljahr der Geschichte bezeichnet. Es ist das Jahr der gewaltsamen Umbrüche in Konfliktregionen wie dem Iran, Saudi Arabien und Afghanistan. 1979 bildet lt. dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie, den Beginn der multipolaren Welt von heute und stellt damit eine „Zeitenwende“ dar.

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