70 Jahre Leben – Wir Frauen in den 70er Jahren
Die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert setzte, nach zähem Ringen, durch, dass der Artikel 3 “Männer und Frauen sind gleichberechtigt” in das Grundgesetz der Bundesrepublick Deutschland aufgenommen wurde. So geschehen und was passierte? Es passierte nichts, denn die deutsche Realität war eine andere.
Männer, Herrscher über Frauen und Kinder
Für eine Frau war ein uneheliches Kind noch in den 70er Jahren eine gesellschaftliche Katastrophe. Oft erhielten die Frauen noch nicht einmal das Sorgerecht. Lt. deutschem Familienrecht war der Mann der Herrscher über Frau und Kinder.
Bis Mitte der 70er Jahre mußte der Ehemann noch einwilligen, wenn Frau arbeiten wollte. Er konnte auch den Job ohne Einwilligung seiner Ehefrau kündigen. Eine Frau mußte für ihren Ehemann jederzeit sexuell verfügbar sein. Gewalt in der ehe galt als Privatsache.
Die Liste ließe sich unendlich fortführen. Wenn ich daran denke, dass ich zu dieser Zeit eine junge Frau war, kann ich mir das selbst nicht mehr vorstellen.
Der Beginn der neuen Frauenbewegung
Die erste große Frauenbewegung gab es in Deutschland bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Der größte Erfolg zu dieser Zeit war das Frauenwahlrecht. Der Nationalsozialismus unterbrach diese Aktivitäten. Im Jahr 1968 begannen wir Frauen wieder mit dem Kampf gegen die immer noch bestehenden Ungerechtigkeiten. Es bildeten sich vermehrt feminisische Frauenguppen, vor allem in Städten und an Universitäten.
Den meisten von uns ist wohl die am 6.6.1971 erschiene Ausgabe des “Stern” mit dem Titelblatt: “Wir haben abgetrieben”. 374 prominente Frauen gaben zu eine Schwangerschaft abgebrochen und sich damit strafbar gemacht zu haben. Darunter waren Stars wie Romy Schneider und Senta Berger. Die Aktion wurde von Alice Schwarzer ins Leben gerufen. Ihre Zeitschrift “Emma” setzte sich für Frauen und ihre Rechte ein. Stellt euch vor, mein damaliger Ehemann hat mir verboten die “Emma” zu lesen. Hat nichts genutzt, ich kaufte sie trotzdem.
Was hat die Frauenbewegung erreicht?
1974
der Bundestag verabschiedete die Fristenlösung und somit den straffreien Schwangerschaftsabbruch in den ersten 3 Monaten. Die CDU/CSU schaltete wegen dem “Schutz des ungeborenen Lebens” das Bundesverfassunggericht ein mit der Folge, dass es bis heute kein Recht auf Abtreibung gibt. Es gilt die Fristenlösung mit Beratungsschein.
1976
Feministinnen eröffnen das erste Haus für geschlagene Frauen in der BRD. Heute gibt es über 400 Frauenhäuser, die ein unverzichtbarer Bestandteil der Unterstützung von Gewaltopfern sind.
1977
Der Presserat spricht erstmals eine Rüge wegen Sexismus aus. Anlass ist das Spiegel-Titelbild einer halbnackten 12jährigen im Prostituierten-Outfit. Die Haufrauenehe wird abgeschafft. Bis dahin war die Ehefrau zur Haushaltsführung verpflichtet. Endlich konnten Frauen einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, ohne ihren Ehemann um Erlaubnis zu fragen.
Das Schuldprinzip bei einer Scheidung entfällt. Bis dahin hatten schuldig Geschiedene keinen Anspruch auf Unterhalt.
1978
gibt es die ersten weiblichen Tatort-Ermittlerinnen (Ulricke Folkerts und Nicole Heesters). Heute gibt es mindestens genausoviele Frauen wie Männer die ermitteln.
Die Emanzipation ist erst dann vollendet, wenn auch einmal eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufgerückt ist
(Agata Capiello)
1979
Dagmar Berghoff moderierte als erste Frau die Tagesthemen.
Nach feministischen Protesten erlaubt Hamburg Frauen den Zugang zur Schutzpolizei. Seit 1987 dürfen Frauen auch zum Grenzschutz, dem härtesten Dienst von allen. Heute sind ca. 50% der Polizisten Frauen.
29 Arbeiterinnen des Fotolabor Heinze in Gelsenkirchen gewinnen eine Klage auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. 1980 verabschiedet der Bundestag das Gesetz über die Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz. Seitdem ist vieles besser geworden, aber so ganz gleich sind z.B. die Gehälter für gleiche Arbeit immer noch nicht. Hinzu kommt, dass viele “Frauenberufe” nach wie vor unterbezahlt sind. Trotzdem hat die Bildunhgsreform in den 70er Jahren zur Folge, dass wir heute von der bestausgebildeten Frauengeneration aller Zeiten sprechen können.
Viele erfolgreiche Männer haben keine Qualifikationen außer der, keine Frau zu sein.
(Virginia Woolf)
Ich habe nur einige Beispiele aufführen können. Die vielen Proteste und Aktionen und die unendlich vielen Kämpfe im Kleinen, zuhause mit den Familien und Ehemännern, kann ich garnicht beziffern.
Innerhalb einer Generation haben die Frauen mehr erreicht, als je zuvor in der Geschichte und das ist doch was, oder?