Lebenslinien – Das Schicksalsjahr 1955

 

Als das Jahr 1955 das Licht der Welt erblickte, war ich gerade einmal  drei Monate alt. Alles, was ich euch über dieses Jahr erzählen kann, stammt also aus Überlieferungen und nicht aus eigenen Erinnerungen.

Mutter und Vater lebten zu dieser Zeit bei meinen Großeltern, den Eltern meines Vaters. Wohnungen waren knapp, weil Köln vollkommen zerstört war. Das Haus, ein klitzekleines Gebäude, befand sich in Bilderstöckchen, einem nördlichen Vorort von Köln und war vom Krieg verschont geblieben.

Viel besassen meine Eltern nicht: Ein Bett, 2 Stühle, einen Tisch und ein Kinderbettchen. Aus heutiger Sicht unvorstellbar, aber zu dieser Zeit durchaus Normalität. Viele lebten sogar in Baracken aus Holz. Diese kaputte Stadt wieder aufzubauen, brauchte seine Zeit. Meine Mutter war Hausfrau und mein Vater arbeitete als KFZ-Mechaniker bei der englischen Besatzungsmacht auf dem Flughafen Butzweilerhof.

Wie ich bereits in meinem Beitrag zu meinem Geburtsjahr 1954 schrieb, hatte ich eine Schwester. Durch eine Infektion mit Toxoplasmose in der Schwangerschaft, war sie im Mutterleib so geschädigt worden, dass sie mit einem Wasserkopf zur Welt kam. Im Jahr 1955 wurde sie in der Universitätsklinik Bonn behandelt. Zu dieser Zeit, in der kaum jemand ein Auto besass, war das für meine Eltern ein weiter Weg, den sie unmöglich täglich hinter sich gringen konnten. Glück im Unglück war, dass die Schwesteer meines Vaters mit ihrer Familie in Bonn lebte. So nahm sie meine Schwester Gisela zu sich und meine Eltern kamen, so oft sie konnten. Ende des Jahres wagten die Ärzte dort eine Operation. Leider ist Gisela nicht wieder aufgewacht und starb Ende 1955. Ich mag mir nicht vorstellen, was das für meine Eltern bedeutet hat.

Was sonst noch im Jahr 1955 passierte:

  • Die Sowjetunion erklärt den Kriegszustand mit Deutschland für beendet.
  • Das Schulwesen wird in Deutschland vereinheitlicht und der Beginn des Schuljahres wird auf Ostern festgelegt.
  • Der Bundestag ratifiziert die Pariser Verträge.
  • Die Deutsche Lufthansa nimmt ihren Betrieb auf.
  • Winston Chrurchill, der britische Premierminister, tritt zurück.
  • „Jenseits von Eden“ mit dem legendären James Dean, der am 30.9.1955 stirbt, kommt in die Kinos.
  • Albert Einstein stirbt am 18. April in den USA.
  • Die Bundesrepublick Deutschland tritt der Westeuropäischen Union und der Nato bei.
  • Die osteuropäischen Staaten gründen als Gegengewicht zur Nato den Warschauer Pakt.
  • Die erste Dosumenta wird am 16. Juli eröffnet.
  • Adenauer reist nach Moskau und schließt Vereinbarungen über diplomatische Beziehungen und die Rückführung der letzten Kriegsgefangenen. Am 7. Oktober treffen die ersten Spätheimkehrer ein.

4 Kommentare

  • Brigitte B.

    Ich habe gerade erst diesen Blog entdeckt und bin gespannt, was es hier noch so zu lesen gibt :).

    Ich bin Jahrgang 55, und habe mit meinen Eltern – so wie du – die ersten 12 Jahre meines Lebens im Obergeschoß des Bergmann-Häuschens meiner Großeltern in Essen gelebt.
    Es war winzig, Toilette nur unten, aber es war für mich als Kind toll, konnte ich mir doch aussuchen, ob ich oben oder unten zu Mittag essen wollte. Und es war immer jemand da.

    Mein Vater war auch Kfz-Mechaniker mit einem Verdienst von 40 Mark, meine Mutter Hausfrau, gelegentlich half sie im Konsum aus.

    Ich habe nichts vermisst als Kind, was auch? Es gab genug zu essen, wir haben draußen bei jedem Wetter gespielt, Lesestoff gab es genug in der Stadtteilbücherei.

    Die Ansprüche sind in den letzten Jahren so stark gestiegen, dass, was die Menschen meinen, ihnen zusteht, dabei braucht es keine 100 Sorten Joghurt, um zufrieden zu sein.
    Ich werde nie vergessen, wie einmalig gut der Kirsch-Joghurt schmeckte, den es vom Milchmann so ca. einmal wöchentlich gab.

    Viele liebe Grüße aus dem Münsterland – Brigitte

    • Karin Austmeyer

      Herzlich Willkommen liebe Brigitte. Schön das Du hier bist.
      Ja, wir haben bescheiden gelebt und waren glücklich. Wir kannten es ja nicht anders. Heute sind wir so verwöhnt, dass wir uns dieses Leben nicht mehr vorstellen können. Schade eigentlich, denn Glück ist nicht von Dingen abhängig.

  • Gabi

    Ich bin ja auch 1954 geboren. Bin aber auf dem Land aufgewachsen. Ganz einfach aber gefehlt hat auch nichts. Es hatte eh niemand was. Was für eine Entwicklung haben wir durchgemacht. Heute bloggen wir sogar! Daß hätte ich mir mit 40 Jahren auch nicht träumen lassen. Liebe Grüße Gabi

    • Karin Austmeyer

      Ja liebe Gabi, wir sind nicht stehen geblieben. Ich kenne viele in unserem Alter, die sich mit Computern überhaupt nicht auskennen. Kann ich mir garnicht vorstellen.

Ich freue mich auf deinen Kommentar.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.