Sonntagsfragen an Elke Speidel
Heute stellt sich Elke Speidel meinen Fragen. sie ist eine meiner treuen Leserinnen und eine wahnsinnig interessante Frau. Im Netz schreibt sie über “Heimatkonstruktionen. Soziale Prozesse von Ver- und Entheimatung” und “Transworte auf Litera-Tour. Verdichtete und geschichtete Texte”
Liebe Elke,
Wenn du dich an deine Kindheit erinnerst, was fällt dir als erstes ein?
Die Diskrepanz zwischen der demokratischen Erziehung in der Familie und der rigiden Diktatur im öffentlichen Bereich.
Wie erinnerst du das Lebensgefühl in deiner Jugend?
Da war Angst, Bedrückung, Hoffnungslosigkeit, das Empfinden, keine Zukunft zu haben.
Welche Zeit in deinem Leben hast du als die Glücklichste empfunden und welche als die Schlimmste?
Die glücklichste Zeit in meinem Leben waren die ersten sechs Jahre im Leben meiner Tochter. Schlimme Zeiten gab es viele, da fällt mir die Auswahl schwer. Vielleicht der Tod meines Mannes vor fast drei Jahren?
Welche Werte sind dir wichtig? Für was würdest du kämpfen?
Kein Wert ist mir wichtig genug, um dafür zu kämpfen. Ein Wert, für den ich kämpfen muss, ist für mich keiner, denn Kampf ist das Gegenteil meiner Werteordnung. Theoretisch. Praktisch würde ich meine Tochter und meine Enkelkinder vermutlich mit Zähnen und Klauen verteidigen, wenn jemand sie angreifen sollte. Da wäre meine Werteordnung mir plötzlich egal. Am widersinnigsten finde ich die Idee, für den „Frieden“ zu „kämpfen“.
Wenn du die Augen schließt und tief in dich hineinschaust, wie siehst du dich dann selbst?
Ich weiß nicht. Ich finde es ziemlich dunkel in mir drin.
Wie möchtest du leben, wenn du dich einmal nicht mehr selbst versorgen kannst, also auf Hilfe anderer angewiesen bist?
In einem Altenpflegeheim mit netten Pflegerinnen und/oder Pflegern, die mir die erforderlichen Hilfen anbieten und mich das, was ich noch selbst erledigen kann, selbst tun lassen. Menschen, die mir mit Respekt begegnen, ohne mich zu überfordern, gut ausgebildete Fachleute, die wissen, worauf sie achten sollen. Am liebsten im Einzelzimmer. Ich bin nicht der soziale Typ Mensch. Hörbücher, wenn ich noch hören kann, Bücher zum Lesen, wenn ich noch sehen und lesen kann, genug zu essen und zu trinken und meine Ruhe, das wäre schön.
Stell dir vor es ist dein 80. Geburtstag, wie möchtest du auf dein Leben zurückblicken?
Vor allem möchte ich dann nicht nur zurück, sondern auch noch vorwärts blicken. Wie mein Leben war, ist nicht so wichtig, solange ich es nicht für mich allein gelebt habe. Meine Enkel sollten da sein, meine Tochter, vielleicht meine Mutter, falls sie dann noch lebt (sie wäre zu diesem Zeitpunkt 102, ganz unmöglich scheint es nicht), meine Geschwister.
Fürchtest du dich vor dem Altwerden und, wenn ja, was macht dir die meiste Angst?
Ich weiß nicht, ich glaube nein. Man kann alt werden oder jung sterben, und niemand kann sich aussuchen, was einer lieber ist. Natürlich möchte ich meinen Lieben nicht zur Last fallen, aber ein plötzlicher Tod in jungen Jahren ist für die Angehörigen auch nicht das Non-plus-Ultra. Mein Mann ist vergleichsweise jung gestorben (na ja, er war 64), mein Vater wird gerade alt, vergesslich, funktionseingeschränkt. Er wird, so Gott will, in ein paar Tagen 91. Für meine Mutter ist das sehr belastend, ähnlich belastend wie für mich der völlig unverhoffte Tod meines Mannes war, nehme ich an. Angst habe ich, wenn überhaupt, vor körperlichen Schmerzen und davor, dass niemand es für erforderlich hält, mir die nötigen Schmerzmittel zu verabreichen.
Welche Wünsche und Träume hast Du für die nächsten Jahre?
Vielleicht bekomme ich den Roman irgendwann noch fertig, an dem ich gerade arbeite, nur für mich. Schön wäre es, wenn ich die beiden anderen angefangenen Romane dann auch noch in Angriff nehmen könnte. Ansonsten wünsche ich mir, dass meine beiden Enkel mit meiner Hilfe heil durchs Leben kommen und fröhlich und gesund ihre Kindheit genießen können. Ich hatte noch mehr Träume, aber die hätten nur zu zweit Spaß gemacht.
Wie du weißt, liebe Elke, ist mein Mann mit 62 gestorben und das ist jetzt auch 3 Jahre her. Du solltest nie aufhören zu träumen und Dinge, die nur zu zweit Freude machen, kann man doch vielleicht mit einer Freundin in Angriff nehmen. Es muß ja nicht immer ein Mann an unserer Seite sein.
Ich danke dir für das sehr offene Interview und wünsche Dir noch viele Wünsche und Träume.
Deine Karin
2 Kommentare
Elke Speidel
Liebe Karin, danke für die Mut machenden Schlussworte. Ich setze andere Träume an die Stelle der alten, aber die speziellen Träume, die ich meine, waren gemeinsame Träume von uns als Paar. Es gibt immer Türen, die zugehen (oder nie aufmachbar waren) und andere, die noch irgendwo auf den passenden Schlüssel warten. Das Leben ist, wie es ist, und dauert, so lange es dauert. Wir können nur versuchen, das Beste daraus zu machen, jede auf ihre und jeder auf seine Art. Ob es gelingt, entzieht sich unserem alleinigen Einfluss.
Karin Austmeyer
“Leben ist das was passiert während man Pläne macht” – eine sehr kluge Weisheit, die auch ich in meinem Leben bitter erfahren musste. Aber das Leben ist trotzdem schön und die Erinnerungen bleiben.