Von Elvis, Lebertran und Rötbäckchen – eine Kindheit in den 50er Jahren
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Dieser Beitrag gehört zu meiner Reihe „70 Jahre Leben“ und wird deshalb heute noch einmal neu aufgelegt.
Das Lebensgefühl der 50er Jahre
Geboren wurde ich 1954 in Köln. In dem Jahr, als Deutschland zum ersten Mal Fußball-Weltmeister wurde und die Menschen nach dem Krieg endlich das Gefühl hatten, wieder wer zu sein in der Welt.
Konrad Adenauer war unser aller Bundeskanzler und so langsam begann das sogenannte “Wirtschaftswunder”.
Die Musik unserer Eltern war der Rock’n’Roll. Elvis Presleys Karriere begann und wir hörten Schlager von Peter Alexander, Caterina Valente, Lale Andersen, und Lolita.
Als kleines Mädchen trug ich Kleidchen mit Petticoat und Pepita-Hosen. Modetrend waren Glocken- und Tellerröcke, College-Jacken, bauchfreie Blusen, Jeans, Caprihosen und Kleider mit Rüschen.
In den Kinos sah man Hollywood-Legenden wie Marilyn Monroe, Marlon Brando, James Dean und Audrey Hepburn. In Deutschland waren Horst Buchholz, Romy Schneider und Heinz Rühmann die grossen Stars. Für den Skandal schlechthin sorgte Hildegard Knef im Film “Die Sünderin”. Sie war tatsächlich halbnackt zu sehen, im damals noch furchtbar prüden Deutschland ein Unding.
Wer als junger Mensch etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, fuhr Motorroller. Der Käfer trat seinen Siegeszug an und, wer gut verdiente, fuhr im Urlaub nach Italien. Die Einrichtungshits der 50er waren Nierentische, Cocktailsessel und Tütenlampen.
Es war aber auch die Zeit des “Kalten Krieges”; die ganze Welt hatte Angst vor einem neuen Krieg.
Gefährliche Kindheit
Heute können wir uns vieles gar nicht mehr vorstellen und doch war es in den 50er Jahren Normalität.
Wir saßen in Autos, in denen es weder Sicherheitsgurte noch Airbags gab und niemand machte sich Gedanken darüber.
Kinderschutz in Steckdosen, Putzmittel mit Kindersicherung, Medikamente mit geschütztem Drehverschluss, das alles gab es nicht! Und wer trug schon einen Fahrradhelm? Wir Kinder verließen am frühen Morgen die Wohnung, gingen zu Fuß zur Schule und machten dann unsere Hausaufgaben. Am Nachmittag spielten wir auf der Straße und kamen am Abend irgendwann einmal heim. Wenn wir uns Arme, Beine oder Knie aufgeschlagen hatten, Pflaster drauf und gut war.
Alle rauchten, immer und überall. Es störte sich niemand daran, ob Säuglinge oder Kinder anwesend waren.
Es gab kein Handy, keine Playstation, keine X-Box und keine Videospiele und keine Fernseher im Kinderzimmer. Oft besaßen nicht mal die Eltern einen solchen Apparat. Gewaltspiele auf DVD, iPod oder iPad, Internet, Chatroom oder Cybermobbing? All das gab es natürlich auch nicht. Wir Kinder spielten auf der Straße oder auf dem Hof und die meisten Eltern waren der Meinung, Kinder hätten ihre Probleme selbst zu lösen und mischten sich deshalb gar nicht ein.
Trotz alledem – wir leben noch!
Viele kleine Dinge aus meiner Kindheit sind mir gut in Erinnerung:
Einkaufen
Meine Mutter hat mich schon mit fünf/sechs Jahren zum Einkaufen geschickt. Da gab es gegenüber das Geschäft von Frau Theiss, die Süß- und Schreibwaren, Zeitschriften und Zigaretten verkaufte. Dort habe ich auch schon mal meine Nachmittage verbracht und ich durfte beim verkaufen helfen.
Wenn Mutter einmal beim Einkauf etwas vergessen hatte, konnte man auch nach Geschäftsschluss noch zum „Tante Emma Laden“ von Frau Theisen gehen. Sie wohnte über ihrem Laden und man brauchte nur zu klingeln. Wer am Wochen- oder Monatsende knapp bei Kasse war, konnte auch anschreiben lassen. Gezahlt wurde dann, wenn der nächste Lohn ausgezahlt wurde.
Ich erinnere mich auch an die Drogerie Gutzeit, wo ich immer Spalt Tabletten, gegen die Kopfschmerzen meiner Mutter, einkaufte. Ich habe gesehen, die Drogerie gibt es tatsächlich immer noch.
Um die Ecke gab es eine Glaserei. Hier holten wir Kinder uns Fensterkitt. Den bekam ich immer geschenkt. Er ersetzte uns den teuren Knetgummi. Wahrscheinlich waren da irgendwelche Giftstoffe drin, das interessierte aber niemanden.
Essen und Trinken
Die Kinder aßen Kekse und Butterbrote und manchmal die Keckse auf den Butterbroten. Trotzdem waren die wenigsten Kinder dick. Wenn ich Durst hatte, trank ich aus dem Wasserhahn. Saft, Cola oder Limo gab es höchstens mal bei einem Familienfest. Süßigkeiten waren etwas ganz besonderes. Einmal in der Woche, beim Samstagseinkauf, bekam ich eine Tafel Schokolade und die habe ich, so war ich erzogen, auch noch geteilt. Wenn ich einmal 10 Pfennige geschenkt bekam, konnte ich mir eine kleine Tüte Bonbons (1 Pfg. das Stück) oder ein Stück Kokosschokolade kaufen. Ich aber sammelte Tier-Postkarten und habe mir dann oft eine neue Karte statt Süßigkeiten gekauft.
Ein Streuselteilchen kostet auch 10 Pfg., ein halbes Brot 50 Pfg. und ein Brötchen 2 Pfg. – das waren noch Preise.
Fleisch gab es nur am Wochenende. In der Woche gab es zum Beispiel Eintopf, Milchsuppe, Gemüse mit Kartoffeln oder auch einmal Fisch.
Gummitwist und Hula-Hoop-Reifen
Einen Hula-Hoop Reifen bekam ich schon mit 5 oder 6 Jahren. Ich habe das Ding geliebt und war ziemlich gut darin. Gummitwist wurde später auf der Strasse oder in der Schule gespielt.
Twist war übrigens der Tanz dieser Zeit. Den konnte ich schon als kleines Mädchen richtig gut. Tanzen ist ja bis heute meine Leidenschaft geblieben. Bei einem Familienausflug ins Bergische Land sind wir zum Mittagessen in eine Gaststätte eingekehrt. Dort gab es eine Musikbox und ich durfte mir etwas aussuchen. Ich habe dann vor der Box Twist getanzt. Anscheinend gefiel das den übrigen Gästen so gut, dass ich immer wieder Geld für neue Musik von den Leuten bekam. Geschäftstüchtig wie ich war, habe ich immer nur die Hälfte in die Box gesteckt. An dem Tag habe ich zum ersten Mal eigenes Geld verdient.
Kleidung
Die schlimmsten Kleidungsstücke, an die ich mich erinnere, waren das Leibchen mit Strumpfhaltern und kratzige Wollstrümpfe. Strumpfhosen gab es noch nicht. Genau so schlimm waren die Wollpullover, die nicht weniger kratzten. Bis heute vertrage ich keine Wolle auf meinem Körper.
Es gab auch noch das Sonntagskleidchen, das ich nur für “gut” anziehen durfte und das möglichst nicht dreckig werden sollte.
Lurchi und Mecki
Der Lurchi von Salamander-Kinderschuhen hat mich durch meine Kindheit begleitet. Wenn es ein paar neue Schuhe gab, war die Freude bei mir groß. Konnte ich doch ein neues Lurchi-Heft und evtl. eine Figur bekommen. Zu meinem Erstaunen habe ich gesehen, dass es Lurchi auch heute noch gibt.
Mecki, der berühmte Igel von HörZu, gehört nicht nur zu meiner Kindheit. Generationen haben jede Woche mit Spannung auf die neuen Abenteuer gewartet. Wir hatten Mecki und seine Frau als Figuren von Steiff auf dem Fernseher stehen. Die hatte meine Mutter gekauft, weil sie ihr so gut gefielen.
Poesiealbum
Ein Poesiealbum ist ein kleines Büchlein, in das Verse hinein geschrieben werden. Mit den Jahren hatte ich insgesamt 3 Stück. Freundinnen, Verwandte und Lehrer bekamen die Bücher, um einen schönen Spruch zu hinterlassen. Die Kinder malten meistens etwas dazu oder klebten Glanzbilder mit ein. Leider habe ich nur noch eines dieser Alben.
Ein paar Textbeispiele:
Rosen, Tulpen, Nelken,
alle drei verwelken,
aber wie das Immergrün
soll stets unsere Freundschaft blühn.
******
Bleibe lustig, bleibe froh
wie der Mops im Paletot.
Unsere Freundschaft endet nicht,
eh‘ der Mops französisch spricht!
Pucki – Kinderroller
Fast jedes Kind dieser Zeit hatte, so glaube ich, einen Roller von Pucki. Am Anfang hatte ich Stützräder hinten dran. Irgendwann sagte mein Vater, dass es jetzt auch ohne gehen muss. Er ist mit mir auf die Straße, hat die Stützräder abmontiert und mich hinten festgehalten. Irgendwann ließ er los, ohne das ich es merkte und ich düste ganz alleine davon. Mann, war ich stolz.
Rotbäckchen
Unsere Eltern waren wohl der Meinung, dass wir Kinder an Eisenmangel litten und Rotbäckchen sollte Abhilfe schaffen. Auch der Appetit der Kinder sollte gefördert werden. Rotbäckchen-Saft war auf jeden Fall, so die allgemeine Meinung, ein sehr gesunder Saft, der Kindern etwas Gutes tat.
Vorher von meiner Mutter mit Lebertran (das so schmeckt, wie es sich anhört) gequält, liebte ich Rotbäckchen. Der Saft war süß und lecker.
Rotbäckchen wird übrigens bis heute erfolgreich verkauft. Die Flasche sieht heute noch genau so aus wie damals.
Unser Samstag
Der Samstag war für mich der schönste Tag der Woche. Papa war von seiner Wochentour zurück. Mutti und ich gingen vormittags einkaufen. Nachmittags war das traditionelle Wochenbad angesagt und zum Abendbrot wurden all die leckeren, frischen Sachen aufgetischt, die wir am Morgen besorgt hatten. Das Wichtigste aber war: es war der einzige Tag der Woche, an dem ich lange aufbleiben durfte. Wir haben dann gekuschelt und “Einer wird gewinnen” geschaut.
Schule, Trümmer und Baracken
Es gab viel zu wenig Schulen, denn viele Gebäude wurden ja im Krieg zerstört. Einige Schulen wurden auch als Unterkünfte für Flüchtlinge genutzt. In den wenigen Klassenräumen, die es noch gab, saßen manchmal bis zu 150 Schülerinnen und Schüler. Wir waren damals um die 50 Kinder in der Klasse. Das war relativ wenig.
Schulbücher waren für damalige Verhältnisse sehr teuer, deshalb wurden sie nach dem Kauf sofort in Papier eingeschlagen um sie zu schonen. Ich erinnere mich an “Moni und Udo” unser Lese- und an “Die Welt der Zahl” unser Rechenbuch. Im ersten Schuljahr schieben wir noch auf kleine Schiefertafeln.
Die Schulen waren noch nach Religionen getrennt. Ich habe die Katholische Volksschule Lochnerstrasse besucht.
In den 50er bis weit in die 60er Jahre gab es in Köln noch mehr Trümmer-Grundstücke als heile Gebäude. Obwohl im Eiltempo neue Häuser gebaut wurden, war es sehr schwer, das fast völlig zerstörte Köln wieder aufzubauen. Es gab noch viele Baracken, in denen ganze Familien über viele Jahre behelfsmäßig leben mussten.
Im Vergleich zu heute, scheint es eine armselige Kindheit gewesen zu sein. Das ist aber nicht richtig. Ich habe meine Kindheit als schön und glücklich empfunden. Wir kannten nichts anderes und es wurde ja auch kontinuierlich immer besser. Der Wiederaufbau ging schnell voran und das sogenannte „Wirtschaftswunder“ tat sein übriges.
Woran erinnert ihr euch gerne?
4 Kommentare
Sabine Ingerl
Liebe Karin,
Dein Post hat mich komplett in meinen Kindheit zurückversetzt. Genau so war’s bei uns auch. Es gab aber nur ein Trümmergrundstück,an dem ich mit leisem Grauen vorbeiging und Strumpfhosen hatte ich schon. Aus kratziger Wolle waren die aber auch und ich jedes Jahr froh, wenn die Zeit für Kniestrümpfe kam.
Rotbäckchen gibt’s noch, hab ich neulich gesehen. Ob das noch dieselbe Wirkung hat? Ich hatte als Kind zumindest immer rote Backen :-).
Liebe Grüße und danke für den unterhaltsamen Rückblick
Sabine
Karin Austmeyer
Danke liebe Sabine, bei der Recherche zum Beitrag war ich auch in meine Kindheit versetzt und konnte mir ein Schmunzeln hier und da nicht verkneifen.
Leah
Lieben Dank für deinen praktischen Beitrag.
Ich habe deinen Blog schon länger im Feed abonniert.
Und jetzt musste mich mal zu Wort melden bzw. mich mal bedanken.
Mache genauso weiter, freue mich schon auf die nächsten Artikel
Elfi
Hallo 🙂
der Artikel ist zwar was älter dennoch bin ich mit freude drüber gestolpert denn über so eine Kindheit zu lesen ist ja wirklich interessant 🙂 schließlich kann ich so auch mal sehen dass es auch ohne Internet supi geklappt hatte …was ich mir ja heutzutage kaum noch weg denken kann einfach weil ich damit ja aufgewachsen bin hihi
auf jeden fall: richtig cooler artikel und ein echt schöner blog
glg elfii ♥