Fragen an Monika zur Kindheit und Jugend in den 50er und 60er Jahren
Monika ist eine Freundin des Hauses. Sie ist 59 Jahre alt, verwitwet ohne Kinder. Die Frauenärztin im Ruhestand lebt in Holzminden.
Vielen Dank liebe Monika, für das bereitwillige Beantworten meiner Fragen:
Was sind deine schönsten Kindheitserinnerungen?
– Die sonntäglichen Kutschfahrten mit meinem Opa und meinen Geschwistern. Unser Hund durfte
auch mit. Meistens lief er nebenher, aber wenn es für ihn zu anstrengend wurde, ließ mein Opa ihn in der Kutsche mitfahren. Wenn wir Kinder zu viel Bewegungsdrang hatten und nicht mehr still sitzen konnten, dann ließ mein Opa uns auf unseren Wunsch hin auch mal nebenher laufen. Dann konnten Hasso und Max, unsere Pferde, sich in einem sehr gemächlichen Schritttempo ausruhen.
- Im Frühling zum ersten mal wieder Kniestrümpfe tragen dürfen.
- Mit meiner Mutter und meinen Geschwistern oben auf dem Erntewagen mit Stroh liegen und so nach Hause schaukeln.
- Die gelegentlichen Badeausflüge mit meinen Eltern an den nahe gelegenen Fluss.
- Weihnachten natürlich.
- Die Geburt kleinerer Geschwister, eines der größten Feste in unserer Familie. Ich erinnere mich noch gut an die strahlend glücklichen Augen meines Vaters, als er abends, als alle am Abendbrottisch saßen, erzählte, dass wir noch ein Baby bekommen. Einige Monate später wurde meine jüngste Schwester geboren. Sie ist 12 Jahre jünger als ich.
Was hast du weniger gut in Erinnerung?
Tagelang auf dem Feld Runkeln (eine Futterrübe) verziehen.
Wie wurde dein Geburtstag gefeiert und wie hast du Familienfeste erlebt?
In unserer Familie wurden nicht Geburtstage gefeiert sondern Namenstage. Mein Namenstag war der 4. Mai. Das hat sich inzwischen geändert. Jetzt habe ich am 27. August Namenstag, feiere inzwischen aber eher meinen Geburtstag.
Das Kind, das Namenstag hatte, bekam ein kleines Geschenk und es wurde das jeweilige Lieblingsgericht gekocht. Ich erinnere mich an einen Namenstag, an dem ich ein besonders schönes Stofftaschentuch und eine Tafel Schokolade geschenkt bekam.
Wie waren deine Eltern? Waren sie modern oder altmodisch?
Meine Eltern folgten keinen Moden, weder alten noch neuen. Sie blieben eher sich selbst und ihrer eigenen Meinung treu. Das führte dazu, dass sie in manchen Dingen Meinungen vertraten, die auch schon vorherige Generationen hatten, in manchen Bereichen allerdings geradezu revolutionär neumodisch waren.
Ich möchte das an Beispielen erläutern:
– Meine Mutter hat jedes ihrer Kinder mindestens ein Jahr lang gestillt, bis die Kinder an den
normalen Familienmahlzeiten teilnehmen konnten und dort dann mit pürierter Kost mitversorgt wurden. Stillen war damals äußerst unmodern, und meine Mutter musste sich immer wieder entsprechende Äußerungen von anderen Müttern anhören.
– Ich wurde zu Hause im Ehebett meiner Eltern geboren. Die Schwester meiner Mutter war Hebamme und hat die Geburt betreut. Hausgeburten waren zu der Zeit ebenfalls nicht modern. Mein älterer Bruder ist übrigens in der Klinik geboren, weil meine Eltern sich da noch nicht so sicher waren, was auf sie zukommt. Beim zweiten Kind, also bei mir, waren sie sich dann sicher.
– Meine Eltern setzten keine körperlichen Strafen in der Erziehung ein. Auch das war damals nicht gängige Ansicht über gute Erziehung. Sie waren aber der Meinung, dass es nicht richtig ist, Kinder zu schlagen und dass dies auch nicht zur Erziehung sinnvoll ist.
– Meine Eltern haben versucht, ihre Kinder nicht in geschlechtsspezifische Rollen zu drängen. Die Jungen haben also ganz selbstverständlich auch im Haus und in der Küche geholfen und beispielsweise kochen gelernt, die Mädchen haben genauso selbstverständlich auch Trecker fahren und alles andere gelernt, was in einem landwirtschaftlichen Betrieb anfällt. Mädchen und Jungen bekamen gleichermaßen die Möglichkeit, frei jeden ausgewählten Beruf zu erlernen. Auf eine gute Ausbildung wurde viel Wert gelegt und Leistungen in diesem Bereich wurden besonders anerkannt.
Die letzten beiden Punkte enthielten einen für damalige Verhältnisse äußerst modernen Denkansatz, der nicht immer für Verständnis und Zustimmung im Umfeld sorgte. Wenn Menschen,
so wie meine Eltern, nicht von Moden abhängig sind, nennt man das dann unmodern?
Leider wird dieser Begriff in unserer Gesellschaft weitreichend gleichbedeutend mit altmodisch eingesetzt und außerdem wird dieser Begriff , ebenfalls leider, immer negativ verwendet.
Unmodern sein bedeutet, nicht bestimmten Werten oder Äußerlichkeiten zu vertrauen, nur weil sie modern sind. Selber denken, ein eigenes Wertesystem im Spiegel der Gesellschaft entwickeln, das ist etwas anderes, als einer Mode zu folgen.
Als Jugendliche waren mir meine Eltern oft sehr peinlich (geht wohl jedem Jugendlichen so), aber heute bin ich sehr froh, dass sie den Mut hatten, sie selbst und damit anders zu sein.
Welcher Mensch war in deiner Kindheit am wichtigsten für dich und warum?
Je nach Entwickelungsphase meine Mutter, mein Vater, mein Opa.
Wie war das Verhältnis deiner Eltern zueinander?
Sie hatten einen sehr guten und liebevollen Umgang miteinander. Meinungsdifferenzen diskutierten sie nicht vor den Kindern, was dazu führte, dass ich mir Konfliktlösungsstrategien in der Partnerschaft als Erwachsene mühselig selbst aneignen musste. Das führte anfänglich zu Verletzungen.
Spielte Religion eine große Rolle in deiner Familie?
Mein Elternhaus war katholisch, und die Religion wurde aktiv und überzeugend gelebt.
Welche Werte haben dir deine Eltern mit auf den Weg gegeben?
– Wenn du etwas wirklich willst, dann mach‘s. Du kannst es auf jeden Fall.
– Bleib dir selbst treu.
– Tu nie etwas, das du bereust, wenn du in den Spiegel schaust.
Hattest du Geschwister und wie war euer Verhältnis zueinander?
Ich habe 6 Geschwister (4 Brüder und 2 Schwestern). Ein Bruder ist älter, alle andern sind jünger, ich bin also das zweite Kind.
Unser Verhältnis zueinander war und ist sehr gut. Es gab Phasen, in denen ich mit einigen besonders eng zusammen war und es gab Zeiten in denen ich mit anderen besonders gut konnte. Natürlich gab es auch die typischen Reibereien unter den Kindern. Das schult fürs Leben. Wenn es drauf ankam haben wir immer zusammengehalten.
Wo bist du aufgewachsen?
Auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Westfalen in einer Großfamilie mit Eltern, sieben Kindern, Großeltern und einer Tante.
Welche Spiele hattest du am liebsten und wo habt ihr gespielt?
Wir hatten sehr viele verschiedene Spiele, von Fußball bis „Vater, Mutter, Kind“. Wenn wir „Vater, Mutter, Kind“ gespielt haben, dann wollte jeder die Mutter spielen, allenfalls noch das Kind, aber auf keinen Fall den Vater. Immer nur außer Haus gehen, um Geld zu verdienen und ansonsten nur essen und schlafen, viel zu langweilig, wie sich Bauernkinder halt einen Stadthaushalt vorstellen. Es brauchte einige Verhandlungen mit den Geschwistern, bis die Rollenverteilung klar war.
Hattest du eine beste Freundin und habt ihr heute noch Kontakt?
Ich hatte eine beste Freundin, wir haben uns aber nach Beendigung der Schule auseinandergelebt. Jede von uns ist in eine andere Stadt gezogen, wir konnten uns nur noch gelegentlich sehen und so wurden wir langsam einander fremd.
Gab es schwierige Situationen oder Schicksalsschläge in deiner Familie und wie wurde damit umgegangen?
Als ich 3 Jahre alt war, starb meine Oma. Sie starb zu Hause und wurde dann zu Hause für 3 Tage aufgebahrt. Wir Kinder haben in der Zeit jeden Abend unser Abendgebet gemeinsam am offenen Sarg meiner Oma gesprochen. Die Erwachsenen waren sehr traurig und zeigten diese Trauer auch offen. Als kleines Kind erfasst man noch nicht, was es bedeutet, dass jemand nie mehr wiederkommt. Wir Kinder haben viele Fragen gestellt, beispielsweise danach, wo die Oma denn jetzt ist. Unsere Fragen wurden beantwortet und es wurde sehr offen mit der Situation umgegangen.
Wurde offen über Gefühle gesprochen?
Gefühle wurden offen gelebt. Sie waren greifbar vorhanden und wurden nicht versteckt. Worte werden Gefühlen oft nicht gerecht. Wenn jemand sprechen wollte, dann ging das auch, aber wichtiger war es, es zu leben. Die kleineren Kinder konnten sowieso noch nicht sprechen, lebten aber natürlich auch in der Gefühlswelt.
Hattest du noch Großeltern und hast du sie oft gesehen?
Die Eltern meines Vaters lebten mit auf dem Hof (siehe oben), die Eltern meiner Mutter 4 km entfernt. Wir haben sie gelegentlich sonntags besucht.
Bist du gerne zur Schule gegangen und wie waren deine Lehrer?
Ja, ich bin sehr gern zur Schule gegangen und war bis zur Pubertät eine gute Schülerin. Dann wurden andere Dinge wichtiger und die schulischen Leistungen litten darunter.
Die Hochdeutsche Sprache habe ich erst in der Schule gelernt. Zu Hause wurde ausschließlich Plattdeutsch gesprochen. Auch jetzt noch spreche ich mit meinen Geschwistern ausschließlich Platt.
Einer meiner Mathelehrer war in der Lage, mein Interesse an der Mathematik so zu fördern, dass es eines meiner besten Fächer wurde. Es gab aber auch problematische Lehrer, die im Unterricht eine Atmosphäre von Angst und Schrecken erzeugten.
Wie hast du deine Pubertät erlebt? Warst du aufgeklärt?
Es war ein Umbruch, der dazu führte, dass ich viele Dinge zu Hause nicht mehr erzählte. Wenn ich Fragen stellte, wurden diese beantwortet. Etwas, das man nicht fragte, wurde auch nicht thematisiert. Als ich meine erste Regel bekam (Ich war gerade 12 Jahre alt geworden.), da wusste ich im Vorfeld, was das ist und als ich meinen ersten Freund hatte, da wusste ich alles, was man wissen muss. Irgendwie hat es also wohl geklappt mit der Aufklärung. Es ging einfach so selbstverständlich nebenbei vonstatten, dass ich gar keine Erinnerung an eine besondere Aufklärung habe, nur an einzelne kleine Gespräche, die in der Summe genügend Wissen vermittelten.
Wie war der Umgang deiner Eltern mit Sexualität?
Sexualität fand hinter geschlossener Tür statt und war für mich als Kind nicht erkennbar. Ich habe allerdings meine Eltern einmal „erwischt“ ohne dass sie es mitbekommen hätten. Sie waren in „Aktion“ und ich habe die Tür sehr leise wieder geschlossen. Damals war ich ungefähr 11 Jahre alt. Es war für mein Empfinden eine sehr schöne und liebevolle Situation.
Gab es in deiner Jugend besondere Menschen oder Gruppen zu denen du gerne gehört hättest oder zu denen du gehört hast?
Nein!
Welche Auffassung vom Leben hattest du damals?
Als Jugendliche habe ich mich irgendwann sehr auf das Ende der Schulzeit gefreut, weil ich plante, dann in eine Stadt zu ziehen, um zu studieren. Dann sollte es endlich losgehen mit dem eigenen Leben, alles selber in die Hand nehmen, alles selbst entscheiden … darauf habe ich mich sehr gefreut.
Wie waren deine Zukunftsträume, was wolltest du im Leben erreichen?
Als ich 13 Jahre alt war habe ich im 7 km entfernt gelegenen Krankenhaus als Sonntagsmädchen angefangen. Ich brachte Tabletts mit Essen zu den Patienten, sammelte das Geschirr wieder ein, verteilte Fieberthermometer, war halt für kleine Arbeiten zuständig. Einer meiner Brüder war übrigens auch Sonntagsjunge.
In der Abteilung, in der ich eingesetzt war, arbeitete eine Chirurgin, die ich sehr bewundert habe. Seit diesem Zeitpunkt stand mein Berufsziel fest: Ärztin.
Wie sahst du als junges Mädchen aus und was war gerade Mode?
Ich war hübsch, denke ich. Jedenfalls fiel ich nicht besonders aus dem Rahmen.
Mode waren Hüftjeans mit weitem Schlag, so weit, dass die Schuhe (Boots) darunter verschwanden. Pullover darüber, außerdem auch mal Blusen, die den Bauch frei ließen und vorn gebunden wurden. Man durfte es nicht übertreiben, das gab dann nur Ärger im Elternhaus, besser nach Verlassen des Elternhauses noch etwas nachstylen. Über das Ganze wurde ein Bundeswehrparker (ganz wichtig: unbedingt echt!) getragen. Halt die Nonkonformisten-Uniform, Schlagjeans und BW-Parker. Lange Haare waren ein Muss, für die Jungen noch wichtiger als für die Mädchen.
Als ich anfing, meine Kleidung selber auszusuchen, da fragte mich meine Mutter, ob das denn immer sein müsse mit den Nietenhosen. Ja, eindeutig, das musste sein.
Welche Musik hast du gehört?
Beatles, nicht Rolling Stones, und viele andere
Wo waren die wichtigsten Treffpunkte, wohin bist du ausgegangen?
Disco, erst im eigenen Dorf. Die wurde dann wegen Brandgefahr geschlossen. Disco im Nachbarort. Schützenfest.
Gelegentlich haben wir auch auf unserem Hof eine Disco veranstaltet. Wir hatten dafür einen großen Raum, eine gute Musikanlage, eine selbst gebaute Theke und eine Beleuchtung, die alles hergab, was man brauchte.
Wann musstest du zu Hause sein?
Mit zunehmendem Alter später. Daran kann ich mich nicht mehr so genau erinnern, war also wohl nicht problematisch.
Es ist schön liebe Monika, dass Du eine schöne und entspannte Kindheit und Jugend hattest. Ich habe Dich förmlich hoch auf dem Kutschwagen gesehen und mir enthuschte ein Lächeln.
Ein Kommentar
Sunny
Eine schöne glückliche Kind- und Jugendzeit hat Monika erlebt.
Beim Lesen stellte sich mir dann die Frage: warum kann ich mich an all dies nicht erinnern?
6 jüngere Geschwister und ich erinnere mich an kein einziges Baby?
Ich muss schon schrecklich introvertiert, verschreckt und ängstlich gewesen sein, dass nichts und niemand den Weg in mein Innerstes gefunden hat.