Das Leben ist manchmal ein Arschloch

Diesen Beitrag schrieb ich vor knapp vier Jahren. In Erinnerung an den 4. Todestag meines Mannes, der mir noch immer unendlich fehlt, hier noch einmal seine Geschichte.

Es gibt nur zwei Dinge in unserem Leben die sicher sind, unsere Geburt und unser Tod. Alles andere ist variabel.

Heute bin ich genau 4 Jahre Witwe. „Witwe“, dieses Wort mag mir noch immer nicht so wirklich über die Lippen. Irgendwie fühlt sich das merkwürdig an.

Hochzeit 1998

Bernd war mein 3. Ehemann, meine ganz große Liebe und der erste wirkliche Partner in meinem Leben. Ausgerechnet dieser Mensch hat in den letzten 7 Jahren vor seinem Tod unsagbar leiden müssen. Vor dieser Zeit war ich oft sehr ungerecht, fand meinen Mann einfach unfit und habe oft auf ihn eingeredet sich mehr zu bewegen oder endlich einmal Sport zu treiben.

Als er dann – an diesem Silvesterabend  – fast erstickt wäre, habe ich ihn endlich dazu bringen können, zum Arzt zu gehen. Nach langwierigen Untersuchungen wurde dann eine COPD 4 festgestellt, gepaart mit einem Lungenemphysem. Er hatte nur noch eine Lungenkapazität von knapp 30 %. Ja, Bernd war Raucher und viele würden sagen: „selbst schuld“. Aber trotzdem ist man fassungslos und furchtbar traurig. Nun wußte ich, warum er manchmal so schlapp war und keine Treppe ohne Luftnot mehr raufsteigen konnte. Glaubt mir, ich habe meine harte Kritik an ihm mehr als bereut.

COPD ist nicht heilbar. Der Krankheitsverlauf kann durch Medikamente lediglich verlangsamt werden. So mußte ich hilflos zusehen, wie Bernd über die Jahre immer weniger Luft bekam und uns war klar, dass er nicht bis ins hohe Alter bei mir sein würde. Irgendwann in naher Zukunft würde ihn diese Krankheit umbringen. Aber es kam dann doch alles anders.

Etwa ab Februar 2015 ging es Bernd immer schlechter. Innerhalb von 2 Monaten verlor er mehr als 20 kg Gewicht. Dieser große, starke Bär wurde immer schwächer. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir immer noch gedacht, dies alles wäre eine Folge seiner Krankheit. Anfang Mai hatte ich dann aber das Gefühl, dass da noch etwas anderes sein musste. Wegen seiner COPD wurde er ja regelmäßig vom Lungenfacharzt untersucht. Aber gründlich untersuchen konnte man das eigentlich nicht nennen. In unserem Land werden chronisch kranke Menschen eigentlich nur verwaltet. Unser Hausarzt, den wir nun aufsuchten, ließ Bernd sofort in die Klinik einweisen. Nach ca. 14 Tagen und vielen Untersuchungen wurde Krebs mit Metastasenbildung im ganzen Körper festgestellt – ein Todesurteil. Der behandelnde Arzt stellte uns vor die Wahl: „Mit Chemo noch Monate – ohne Chemo noch Wochen“. Ich hätte für mich eine Chemo abgelehnt, aber Bernd wollte so gerne noch diesen Sommer mit mir haben. Also habe ich seine Entscheidung mit getragen.

Bernd wollte gerne über die Pfingsttage nach Hause, auch um unseren 17. Hochzeitstag mit mir zu feiern. Danach wurde der Termin für die 1. Chemo angesetzt. Wir hatten einige wirklich schöne Tage mit guten Gesprächen. Über alles haben wir geredet, auch über das, was nach seinem Tod passieren sollte. Früher wollte er nie darüber reden. Männer reden ja im Allgemeinen nicht gerne über diese Dinge. Wir hatten noch einmal eine gute Zeit. Schwester und Schwager kamen zu Besuch und die beiden Männer haben zusammen gekocht. Kochen war Bernds grosse Leidenschaft, doch diesmal musste er sich auf Anweisungen beschränken. Zum Selbstkochen war er bereits zu schwach.

Nach Pfingsten brachte ich ihn wieder ins Krankenhaus zur Chemo. In der ersten Nacht bekam Bernd hohes Fieber und es wurde eine Lungenentzündung festgestellt. Dem armen Kerl blieb wirklich nichts erspart. Als ich meinen Mann dann am nächsten Tag besuchte, war er nicht mehr der gleiche Mensch. Er konnte nicht mehr alleine aufstehen, sprach lallend und auch ziemlich wirr. Nach Ausheilen der Lungenentzündung setzten die Ärzte die Chemo an und dann konnte Bernd zur Erholung nach Hause. Von nun an war jeder Tag anders. Er wurde immer schwächer, sein ganzer Mund war von der Chemo entzündet (hätten wir das doch nur nicht getan) und er konnte kaum noch etwas essen.

Nach 10 Tagen rief ich zum ersten mal den Pflegedienst, weil ich es alleine nicht mehr schaffte. Am nächsten Tag kam Bernd an den Tropf und er schlief endlich einmal wieder ruhig. Da sein geliebter Kater krank war, kamen vormittags Schwesterchen und Schwager, der sich extra freigenommen hatte, um am Nachmittag mit Kater zum Tierarzt zu fahren. Ich wollte meinen Mann nicht alleine lassen. Irgendwie war der ganze Vormittag sehr unruhig. Am Mittag wurde dann ein Pflegebett geliefert, das im Wohnzimmer aufgebaut werden sollte. Inzwischen hatte sich Kater in unserem Ehebett neben Bernds Kopf eingerollt und schlief. Um meinen Mann nicht mit dem Lärm des Bettaufbaus zu wecken, schloß ich die Tür zum Schlafzimmer. Nachdem das Bett stand und der Monteur weg war – das Ganze hat vielleicht 15 Minuten gedauert -, ging ich ins Schlafzimmer um nach Bernd zu sehen. Schon an der Tür sah ich, dass er mich verlassen hatte. Er war im Schlaf gestorben, seinen geliebten Kater neben sich.

Im Nachhinein war es gut so. Am Ende wurde sein Leiden nicht unnötig herausgezögert. Ich aber hatte das Gefühl, mich hätte ein D-Zug überfahren. Es ging alles so unfaßbar schnell.

Jetzt bin ich zurück im Leben und in mir ist eine unglaubliche Ruhe. Wir hatten alles gesagt, alles ausgesprochen, waren miteinander im Reinen – da ist nur noch Liebe. Er ist bei mir zu Hause gestorben und nicht in einem kalten Krankenhaus. Das ist unglaublich wichtig für mich und das macht mich stark für alles, was vor mir liegt. Meine Arbeit macht mir Freude. Ich bin zurück in meine Heimatstadt Köln gezogen und das macht mich glücklich.

Den Rest meines Lebens möchte ich gemäß meinem Mantra „Gib jedem Tag die Chance, der Schönste deines Lebens zu werden“ verbringen. Das Leben sollten wir alle genießen, denn wir leben nicht ewig.

 

 

 

 

5 Kommentare

  • Birgit

    Liebe Karin,
    vielen Dank für diesen starken und bewegenden Beitrag. Du hast so eine Kraft in dir und deshalb finde ich es wichtig, was du machst, dass du eine klare Sprache sprichst und vor allem alles mit uns teilst. Irgendwie geht es uns allen häufig so, dass wir das Gefühl haben, nur wir hätten solche Probleme. Und dann ist es ziemlich heilsam, zu lesen – Mensch, da gibt’s tatsächlich noch jemanden, mit dem gleichen Schicksal. Nun ist geteiltes Leid, halbes Leid aber du lässt deine Leserinnen eben nicht auf diesem halben Leid sitzen sondern zeigst auch noch Auswege. Und deshalb liebe ich deine Beiträge so.
    Alles Liebe, viel Kraft mit deinem wunderschönen Mantra
    Birgit

    • karin

      Danke liebe Birgit für die lieben Worte. Ende des Monats habe ich den Umzug hinter mir und dann gibt es wieder mehr persönliche Beiträge von mir.
      Inzwischen sind einige aufschreibenswerte Dinge passiert. Unbedingt muß ich dann bei Dir noch etwas zu Füßen schreiben 😉

  • Tanja L.

    Das ist wirklich ein sehr bewegender Bericht. Ich wünsche dir alles Gute und viel Kraft um diese Schwere Zeit durchzustehen. Dass du nach zwei Monaten schon sagen kannst wieder im Leben zu stehen ist bewundernswert, ich wüsste nicht, ob ich das nach einem Jahr schon sagen könnte…

Ich freue mich auf deinen Kommentar.

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