Buchempfehlungen,  Lebensart

Weltreise gefällig: Koffer brauchst du nicht, nur Lesebrille und ein bisschen Neugier

Fünf Bücher bringen dich von quirligen Städten zu stillen Landschaften, von exotischen Gerüchen bis zu Stimmen aus längst vergangenen Zeiten. Du kannst in Unterhose lesen und trotzdem Kontinente erobern. Also: Platz nehmen, anschnallen (oder nicht), Buch aufschlagen und ab geht die Reise um die Welt!

 

Outback – Niemand hört dich schreien von Patricia Wolf ****

Outback – Niemand hört dich schreien ist ein Thriller, der mir noch lange nach dem Lesen nachgeht. Patricia Wolf entführt uns in die unwirtliche, gnadenlose Weite des australischen Nordens. In eine Landschaft, die ebenso faszinierend wie bedrohlich ist.

Im Zentrum steht Detective Sergeant Lucas, der aus Europa nach Australien zurückkehrt und gleich mit einem verstörenden Fall konfrontiert wird. Zwei Leichen werden im Nirgendwo des Outbacks entdeckt und eine junge Frau gilt weiterhin als vermisst. Ihre verzweifelte Schwester lässt nicht locker und drängt auf Aufklärung. Ihr starker Wille und ihre Hartnäckigkeit haben mich sehr berührt. Lucas selbst ist ein interessanter Charakter. Kein glatter Ermittler, sondern jemand mit Ecken, inneren Konflikten und einer Vergangenheit, die er nicht abschütteln kann. Gerade das macht ihn glaubwürdig und nahbar.

Die Autorin versteht es meisterhaft, Atmosphäre aufzubauen. Die flirrende Hitze, die endlose Leere, das Gefühl, dass dort draußen niemand hilft, all das legt sich beim Lesen wie ein Schleier auf die Haut. Die Spannung entsteht nicht durch reißerische Action, sondern durch die ständige Bedrohung, die in der Luft liegt, sei es durch die Natur, durch das Schweigen der Menschen oder durch das Wissen, dass manche Strukturen im Outback tief in Gewalt und Rassismus verwurzelt sind.

Was mir besonders gefallen hat, war der Blick auf die lokale Gesellschaft: wie schwer es ist, als Frau, als Einheimische, als Angehörige ernst genommen zu werden. Die emotionale Kraft, mit der die Schwester der Vermissten für Gerechtigkeit kämpft, gibt dem Buch eine zusätzliche Tiefe.

Mein Fazit: Outback – Niemand hört dich schreien ist ein atmosphärischer, gesellschaftlich relevanter Thriller mit starken Figuren. Die raue Landschaft wird zum Spiegel innerer Kämpfe, und am Ende bleibt die Erkenntnis: Nicht nur im Outback hört dich manchmal niemand schreien. Eine klare Leseempfehlung und ich hoffe, es bleibt nicht bei diesem einen Fall.

Sonne über Lake Evelyn von Averil Kenny ****

Manchmal findet man ein Buch, das einen nicht laut schreien lässt, sondern still berührt. „Sonne über Lake Evelyn“ ist genau so ein Buch. Eine stille Schönheit, voller leiser Melancholie und zarter Hoffnung. Schon die ersten Seiten haben mich hineingezogen in die Welt der 1950/1960er Jahre Australiens. Die Natur spielt fast eine eigene Rolle im Buch. Das Zirpen der Grillen, das Schwirren der Hitze, der immer präsente See. Man spürt ihn fast unter der Haut. 

Im Zentrum steht eine Frau, die vor etwas davonläuft und in dem kleinen Ort am Lake Evelyn eine neue Identität sucht. Das Thema der Selbstfindung, aber auch der Schuld und des Schweigens wird mit viel Fingerspitzengefühl erzählt. Was mir besonders gefallen hat: Averil Kenny verurteilt nicht. Sie lässt ihre Figuren Raum zum Atmen. Die Sprache ist sanft, manchmal fast verträumt, aber nie kitschig. Ich musste öfter innehalten, einen Satz zweimal lesen, weil er so schön klang und doch bleibt die Geschichte spannend, manchmal sogar ein wenig düster. Geheimnisse spielen eine große Rolle, ebenso wie die Macht der Vergangenheit, die man nie ganz abschütteln kann.

Wenn man „Sonne über Lake Evelyn“ gelesen hat, bleibt etwas zurück. Nicht nur die Erinnerung an eine starke, verletzliche Hauptfigur, sondern auch das Gefühl, dass sich selbst vergeben und anderen vielleicht das Schwierigste und Wichtigste zugleich ist.

Mein Fazit: Ein tiefgründiger, atmosphärischer Roman über Neubeginn, Schuld, das Verlorensein und die leise Hoffnung, dass man doch wieder heil werden kann. Für alle, die Charaktere mit Ecken und Kanten lieben und Geschichten, die sich Zeit nehmen.

Flussabwärts nach Amerika — Petra Postert ****

Als ich die Inhaltsbeschreibung las: „ein Findelkind verliert den Schlüssel zur wertvollen Truhe im Fluss und macht sich allein auf den Weg nach Amerika“,  war ich sofort gefesselt. Jacob ist kein vorgefertigter Held, sondern ein verletzlicher, mutiger Außenseiter, dessen Notlage und Entschlossenheit mich schnell mitnehmen. Die Idee, dass ein Junge allein in einem Fischerkahn den Rhein hinunterfährt, nur begleitet von seinem Schwein und später dem Gaunermädchen Amie, ist für mich die perfekte Mischung aus Einfalt und Wagemut.

Die Erzählweise der Autorin wirkt unaufgeregt, aber sehr präsent. Die Reise spielt 1790, und das historische Setting, der Oberrhein, die Fahrt bis Rotterdam, die Überfahrt auf einem Auswandererschiff,  schafft Atmosphäre ohne die Handlung mit Fakten zu überfrachten. Vielmehr dienen die Details als Kulisse für Jacobs inneren Konflikt: Wird man ihm glauben, dass es ein Missgeschick war? Was bedeutet es, ein Findelkind zu sein, das sich seinen Platz in der Welt erkämpfen muss? Besonders berührt hat mich das Zusammenspiel der Figuren. Jacob und sein Schwein bringen sowohl Herz als auch leichte Komik in die Geschichte. Amie als Gaunermädchen ergänzt das Duo um eine rauere, aber loyale Gegenstimme. Die Gefahren auf dem Fluss und die Ungewissheit der Überfahrt sind packend geschildert. Die Spannung entsteht weniger durch laute Action als durch stete Existenzängste, kleine Mutproben und die Frage nach Vertrauen.

Stilistisch ist das Buch klar und zugänglich, passend für junge Leser*innen, die Abenteuer und historische Stimmung mögen. Gleichzeitig enthält es genug emotionale Tiefe, dass auch Erwachsene mitlesen und berührt werden können.

Mein Fazit: Ein warmherziger, spannender Abenteuerroman über Außenseiter, Loyalität und den Mut zum Neuanfang. Für junge Leser*innen (ungefähr ab 10–12 Jahren) sehr empfehlenswert und für alle Erwachsenen, die historische Reisegeschichten mit stark gezeichneten Figuren schätzen.

Montmartre – Licht und Schatten von Marie Lacrosse *****

Marie Lacrosse entführt uns in das Paris des Jahres 1866, eine Stadt im Umbruch, geprägt von Glanz, Armut, Kunst und politischen Spannungen. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen, die am selben Tag geboren wurden, deren Lebenswege jedoch nicht unterschiedlicher verlaufen könnten. Élise Lambert, Tochter eines Tagelöhners, und Valérie Dumas, Tochter aus reichem Hause.

Der Autorin gelingt es meisterhaft, beide Perspektiven gleichwertig und eindringlich darzustellen. Élises Leben ist geprägt von Entbehrung, aber auch von Stolz und Aufbegehren. Valérie hingegen wächst im privilegierten Milieu auf und doch ist auch sie gefangen in gesellschaftlichen Erwartungen. Besonders gelungen ist, wie beide Frauen trotz aller Unterschiede innere Stärke entwickeln und sich ihren Platz in einer Männerwelt erkämpfen. Die Autorin versteht es, das Paris dieser Zeit mit Leben zu füllen. Das aufstrebende Montmartre, die engen Gassen der Arbeiterviertel, die kühlen Salons der Bourgeoisie, jede Szene wirkt greifbar, beinahe filmisch. Dabei spart Lacrosse nicht mit sozialkritischen Tönen. Themen wie Ausbeutung, Klassenunterschiede, Frauenrechte und politische Unterdrückung ziehen sich klug durch die Handlung.

Was mir besonders gefallen hat, ist der Verzicht auf übertriebenes Drama. Die Konflikte entstehen aus den Figuren selbst und aus der Zeit, in der sie leben und dadurch wirkt alles glaubwürdig und menschlich. Es sind kleine Gesten, stille Entscheidungen und mutige Schritte, die einen beim Lesen tief berühren.

Mein Fazit: Montmartre – Licht und Schatten ist ein vielschichtiger, historisch detailreicher Roman über zwei Frauen, die – obwohl Welten sie trennen – beide für Freiheit, Würde und Selbstbestimmung kämpfen. Wer historische Romane liebt, in denen Gesellschaftskritik, Gefühl und spannende Figuren zusammenspielen, wird dieses Buch verschlingen.

Triomf von Marlene van Niekerk *****

Manchmal liest man ein Buch, das nicht unterhalten will, sondern aufrütteln, abstoßen, fordern und genau das tut Triomf. Es war kein angenehmes Leseerlebnis. Aber ein wichtiges und  notwendiges. Gerade für mich notwendig. Warum? Wie meine Leserinnen wissen, leben meine Schwester und mein Schwager in Johannesburg. Dort, wo ich in diesem Jahr zum siebten Mal hinreisen werde. Ich liebe die Stadt, das Land und die Menschen. Deshalb interessiert mich auch die Geschichte des Landes. Bisher habe ich nur Bücher gelsen, die von der Geschichte der People of Color erzählten. Dass es auch eine arme weiße Bevölkerung gibt und auch diese ihre ganz eigene Geschichte haben, habe ich bisher nicht auf dem Schirm gehabt. Jetz habe ich das mit diesem Buch nachgeholt.

Der Roman spielt im gleichnamigen Vorort von Johannesburg, einem Ort, der auf den Ruinen von Sophiatown gebaut wurde, einem einst blühenden, multikulturellen Stadtteil, der während der Apartheid zerstört wurde, um Platz für weiße Bewohner zu schaffen. Genau hier lebt die Familie Benade, ein inzestuöser, dysfunktionaler Haufen, der in seiner armseligen, schmutzigen Welt zwischen Alkohol, Gewalt und verzweifelter Langeweile gefangen ist.

Was Marlene van Niekerk mit ihrer Sprache leistet, ist beeindruckend. Sie schreibt schmutzig, roh, direkt, aber mit literarischer Präzision. Ihre Figuren sind keine Karikaturen, auch wenn sie grotesk wirken. Sie sind Produkte ihrer Geschichte, ihrer Herkunft, ihrer Verdrängung. Die Benades sind Opfer, Täter und Überbleibsel eines Systems, das sie zugleich bevorzugt und zerstört hat. Besonders erschütternd ist die psychologische Tiefe, mit der die Autorin die Beziehung der Familienmitglieder zueinander beschreibt. Die Gewalt ist nicht nur physisch, sondern auch sprachlich, emotional, alltäglich. Trotzdem blitzt manchmal eine bizarre Form von Zuneigung auf, eine gewisse Menschlichkeit, die fast schmerzhafter ist als alles andere.

Triomf ist kein Buch, das man verschlingt. Es ist ein Roman, der Widerstand leistet, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Ich musste oft pausieren, weil mir die Mischung aus Ekel, Mitleid und Faszination zu viel wurde. Aber genau deshalb bleibt das Buch haften. Es zeigt ein Südafrika, das selten im Fokus steht. Das der weißen Unterschicht, der „poor whites“, die am Ende der Apartheid nicht mehr wissen, wohin mit ihrer Angst, ihrem Hass, ihrer Leere.

Mein Fazit: Der Roman ist eine literarische Wucht. Wer ihn liest, wird nicht unberührt bleiben, aber auch nicht unbeschädigt und genau das macht Triomf so stark.

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