
Eine Kindheit im Nachkriegs-Köln
Naturgemäß habe ich an meine ersten Lebensjahre wenig bis gar keine Erinnerung. Mein Gedächtnis, wenn auch Anfangs noch recht lückenhaft, setzt ungefähr ab meinem 4. Lebensjahr ein.
Die erste wirkliche Erinnerung setzt ein mit unserem Umzug vom Vorort Bilderstöckchen in die Kölner Innenstadt. Damals gab es noch Zuteilungen von Wohnraum, das heißt, man musste zum Wohnungsamt und dann abwarten. Durch den Krieg war Köln ganz besonders zerstört (siehe Bild oben) und der Wiederaufbau ging nicht so schnell voran, wie Wohnungen benötigt wurden.
Mein Vater war Rußland-Spätheimkehrer. Diese Tatsache war ein Grund, dass meine Eltern etwas bevorzugt eine neue Wohnung bekammen. 52 qm, 2 Zimmer, Neubau machten meine Eltern zu den glücklichsten Menschen der Welt.


Trotz traumatisierter Eltern, die teilweise sehr streng – fast preußisch erzogen, verlief meine Kindheit sehr glücklich. Alle Kinder im Haus waren, mit wenigen Ausnahmen, noch klein und so hatten wir immer jemanden zum Spielen. Kindergärten gab es so gut wie gar nicht und wir vermißten Sie auch nicht. Wir durften auf dem Hof und bei schlechtem Wetter auch im Hausflur spielen, bauten uns Zelte aus Betttüchern, spielten Vater-Mutter-Kind.
Auch die Straßen waren bei Weitem nicht so gefährlich wie heute. Obwohl wir mitten in Köln wohnten, schickte mich meine Mutter alleine zum Einkaufen. Wir hatten in unmittelbarer Nähe zwei Lebensmittelläden und eine Drogerie.
Um die Ecke gab es auch eine Glaserei. Von den Besitzern bekam ich immer Fensterkitt zum Spielen – ein guter Ersatz für Knetgummi. Ich darf nicht darüber nachdenken, ob der damals nicht giftig war.
Die kleinen „Tante-Emma-Läden“ hatten noch die meisten Dinge lose im Verkauf. Dort standen Fässer mit eingelegten Gurken (eine bekam ich oft geschenkt) oder Sauerkraut und auch die Milch wurde in einer mitgebrachten Kanne nach Hause getragen. Das ist genau das, wonach man sich heute wieder zurücksehnt.
Mein Vater war Fernfahrer und nahm uns ab und zu auf die süddeutsche Tour in die Berge mit. Das war einfach wunderbar. Ich habe es geliebt, mit meinem Papa unterwegs zu sein und hinten in der Koje zu schlafen.
Überhaupt war ich ein grosses Papa-Kind. Wenn er unterwegs war, meist von Sonntagnacht bis Freitagabend oder Samstagmittag, hatte ich große Sehnsucht.
Ich bin mit viel Musik groß geworden. Meine Mutter liebte Schlager und Operette. Das Radio lief den ganzen Tag. Heute noch kann ich die meisten Lieder aus dieser Zeit mitsingen.
Freitags besuchten meine Mutter und ich immer meine Lieblingsoma in Köln-Nippes. Dort gab es immer Gerstensuppe, die ich heute allerdings nicht mehr ausstehen kann, aber damals schmeckte sie einfach wunderbar. Meine schönste Beschäftigung dort war das Spielen mit Omas Knopfkiste. Heute unvorstellbar bzw. vielleicht versucht es niemand mehr und die Kinder heute hätten genauso viel Freude damit.
Die wunderbarste Zeit des Jahres aber war die Weihnachtszeit. Papa war zu Hause und spielte das Christkind. Mama und ich fuhren nach Nippes und holten meine Großeltern ab. Wenn wir dann nach Hause kamen, war das Christkind schon da gewesen und wir hörten schon von Weitem die Glöckchen, mit denen Papa die Ankunft des Christkinds ankündigte. Es war einfach toll und ein bißchen vermisse ich diese Zeiten heute noch.
Wir lebten bescheiden, aber frei und glücklich. Vielleicht glücklicher als die Kinder heute. Wir kannten keinen Neid, denn alle hatten in dieser Zeit nicht viel. Es ging langsam aufwärts und das war wunderbar mitzuerleben.
Über die Ängste
Trotz all dem Schönen, spürten wir Kinder auch die Ängste der Erwachsenen. Sie hatten Angst vor einem neuen Krieg. Oma sprach immer davon, dass die Russen kommen.
Während der Kuba-Krise in den 60iger Jahren verstärkte sich die Angst noch einmal. Wir können heute froh sein, dass wir bis heute in Frieden leben.
Leider haben wir ja wieder Kreig auf unserem Kontinent und die Ängste sind zurück. Die Angst vor Krieg ist allgegenwärtig.
Wofür sind Kriege gut? Das frage ich mich immer öfter und ich hoffe so sehr, dass die nachfolgenden Generationen in Frieden leben können.
Wie habt ihr diese Zeiten erlebt, liebe Leserinnen und Leser und habt ihr Angst vor einem Krieg in Deutschland?
Buchempfehlung
Ein Ende und ein Anfang – Oliver Hilmes
Was passiert, wenn alles vorbei ist – aber nichts wirklich zu Ende?
Mit Ein Ende und ein Anfang hat Oliver Hilmes ein außergewöhnliches Buch geschrieben: still, eindringlich, zutiefst menschlich. Es erzählt nicht vom Krieg, sondern von dem, was danach kam. Vom Sommer 1945, von der Stunde Null, die gar keine war. Von einem Deutschland in Auflösung und einem neuen Anfang, der sich eher wie ein langer Kater anfühlte, als wie Erlösung.
Der Autor verzichtet auf große, pathetische Gesten und wählt stattdessen einen erzählerischen Zugang, der viele Perspektiven versammelt: Politiker, Künstlerinnen, Täter, Opfer, Kinder, einfache Menschen, all ihre Stimmen ergeben ein Bild, das so vielschichtig ist wie die Realität dieser Nachkriegszeit.
„Der Krieg war vorbei, aber das Grauen hatte noch kein Ende.“
Dieses Zitat bringt auf den Punkt, was viele in diesem Jahr empfanden: Der 8. Mai 1945 war kein Tag des Aufatmens für alle, für viele war es ein Moment des vollständigen Zusammenbruchs. Städte in Schutt, Familien zerrissen, der moralische Kompass völlig zerstört. Hilmes gelingt es, diesen Zustand der Orientierungslosigkeit einzufangen, ohne ihn zu dramatisieren – und genau das macht die Wirkung umso stärker. Besonders eindrucksvoll sind seine Schilderungen des Alltags: Schwarzmarktgeschäfte, zerstörte Infrastruktur, der Kampf um Brot, um ein Stück Kohle, um ein bisschen Hoffnung.
Zwischen den Porträts taucht immer wieder die Frage auf: Wie geht es weiter, wenn man sich selbst und sein Land nicht mehr erkennt? Der Autor nähert sich dieser Frage ohne erhobenen Zeigefinger. Er schildert, wie Schuld verdrängt wurde, wie Anpassung überlebenswichtig wurde, und wie sich erste Risse in alten Strukturen auftaten, aus denen irgendwann – ganz langsam – etwas Neues entstand.
Hilmes schreibt mit Respekt, aber nicht mit Scheu. Viele Szenen bleiben hängen, weil sie nicht laut sind, sondern ehrlich.
„Die Menschen waren erschöpft. Vom Kämpfen. Vom Schweigen. Vom Hoffen.“
Ein Buch zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Scham und Aufbruch, zwischen Erinnerung und Verdrängung. Und genau das macht es so wichtig, gerade heute, wo Erinnerungskultur oft ritualisiert wirkt. Geschichte besteht nicht nur aus Daten und Fakten, sondern aus den Gefühlen, Ängsten und Träumen der Menschen.
Fazit: Das Buch ist ein stilles Meisterwerk. Es erzählt von einem Jahr, das in keinem Kalender wirklich auftaucht – aber für Millionen Menschen der schwierigste Abschnitt ihres Lebens war. Wer wissen will, wie sich das Danach angefühlt hat, sollte dieses Buch lesen. Nicht, um Antworten zu finden, sondern um zu verstehen, was für Fragen damals in der Luft lagen. Ein Buch, das bleibt, weil es hinschaut, wo andere wegsehen und weil es zeigt, dass auch aus dem dunkelsten Kapitel ein leiser Neubeginn erwachsen kann.
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4 Kommentare
Alfred Jahnke
Macht Freude zu lesen und weckt Erinnerungen, vielen Dank also. Wir zogen 1964 nach Köln in´´ s Severins-Viertel, ich war zehn Jahre jung und entdeckte Köln für mich.
Trotzdem blieb es eine Liebe auf Distanz: bis heute empfinde ich den Kölner Dialekt als vulgär, besonders in der Karnevalszeit, wenn plötzlich alle Fuzzies auf dem WDR versuchen, Kölsch zu reden.
Aber vielleicht gewöhne ich mich ja noch daran? Obwohl… besser nicht!
Karin Austmeyer
In Köln geboren, ist und bleibt Köln meine große Liebe. Nicht weil die Stadt so schön ist, dass ist sie nicht, sondern des Lebensgefühls und der Menschen wegen.
Ja, der Kölner Dialekt kann vulgär klingen. Es kommt immer darauf an, wer ihn spricht. Meine Tante zum Beispiel, hat ein sehr feines Kölsch gesprochen. Trotzdem finde ich es wichtig, dass Dialekte gesprochen werden. Es geht sonst ein Stück Identität verloren.
Liebe Grüße
Karin
Gabi
Vielen Dank für diesen schönen, nostalgischen Bericht! Ich bin in den späten 60ern geboren, kann aber einiges von dem, was du schreibst, noch voll und ganz nachvollziehen. Das stundenlange Spielen auf der Straße, die Schlager, die Tante Emma Läden, wo es für einen Groschen die schönsten Süßwaren gab. Danke fürs Erinnern und auch für die zusammengetragenen Fakten! Wie vermisse ich diese besinnliche Ruhe vor Weihnachten, wie du schon schreibst, man hatte nicht viel, aber alles war so bedeutsam und schön. Ich glaube, ich hätte kein Problem damit, die heutige, schnelllebige Zeit einzutauschen gegen das friedliche Gefühl von damals…. lieben Gruß!
Karin Austmeyer
Es geht mir auch so, liebe Gabi. Einerseits lebe ich gerne heute, andererseits sehne ich mich manchmal nach dem Lebensgefühl von damals.