
Schönheitswahn und das Älterwerden – Gedanken aus dem Herzen
Es gibt diese stillen Momente, wenn das Haus ruhig ist, und ich mich selbst im Spiegel betrachte. Nicht nur mein Gesicht – sondern alles, was dahinter liegt. Die feinen Linien, die immer tiefer werden. Die Augen, die manchmal müde wirken, auch wenn ich genug geschlafen habe. Und ich frage mich: Wo ist die Zeit hin?
Ich habe Zeit damit verbracht, gegen das Altern zu kämpfen. Ich habe Cremes gekauft, weil sie mir ewige Jugend versprochen haben. Ein bißchen Hoffnung in einem Glastiegel. Ich habe sie aufgetragen, Tag für Tag, mit dem heimlichen Wunsch, die Zeit zurückdrehen zu können. Aber nichts ist passiert, nur mein Konto war wieder ein bißchen leerer.
Was wirklich an mir gezehrt hat war das Leben. Ich habe eine Scheiß-Kindheit hinter mir, mit wenig Liebe und viel Schweigen. Schon früh habe ich gelernt, stark zu sein, aber auch, dass ich nie genug war. Ich war nicht brav genug und vor allem nicht wichtig genug. Dann kam das Leben, wie es eben manchmal kommt – hart und unvorhersehbar. Ich habe geliebt, mit ganzer Seele und versucht, es besser zu machen als meine Eltern. Dann kam eine Trennung und noch eine, dann der Verlust – der Tod meines Mannes. Ein Loch hat sich aufgetan, das kein Make-up der Welt kaschieren kann. Trauer verändert ein Gesicht und legt sich wie ein Schleier auf die Haut, macht älter in einer Weise, die kein Spiegel jemals richtig zeigen kann.
Aber, ich bin noch hier. Ich lebe, ich lache und fange langsam an, mich mit all meinen Narben zu sehen, sie sogar ein kleines bißchen zu lieben. Nicht, weil ich den Schönheitswahn besiegt hätte, sondern weil ich verstehe, dass mein Gesicht mehr ist als ein Bild. Es ist ein Zeugnis von Schmerz, Verlust, Überleben. Von einer Frau, die mehr durchgemacht hat, als viele wissen. Und trotzdem nicht aufgegeben hat.
Ich bin nicht mehr jung, aber ich bin echt und das ist eine Schönheit, die mir kein Filter und keine Creme je geben könnte. Vielleicht wird der Tag kommen, an dem wir unsere Falten wie Medaillen tragen – als Zeichen für all das, was wir überstanden haben. Ich hoffe auf diesen Tag und bis dahin versuche ich, mich bei jeden Blick in den Spiegel ein bisschen sanfter zu betrachten. Für mich – für das Mädchen von damals und für die Frau, die ich heute bin.


2 Kommentare
Sonja
Ein ganz wunderbarer, echter und deshalb sehr berührender Text, liebe Karin!
Karin Austmeyer
Danke liebe Sonja